Werden wirtschaftspolitische Zielvorstellungen formuliert, spielt oft auch eine gleichmäßigere Verteilung eine Rolle: So ist im „magischen Sechseck“ der Wirtschaftspolitik von einer „gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung“ die Rede. Doch was ist damit gemeint? Und wie kann der Staat die Verteilung beeinflussen? Der folgende Text bietet dazu einen Einstieg.

„Das Ziel, in der Gesellschaft für eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen und damit über die Lebensbedingungen allgemein zu sorgen, wird von einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Auch in der Politik dürfte es hier keinen Widerspruch geben. Diese hohe Zustimmung hat einen Grund: Das Ziel, Gerechtigkeit herzustellen und ein weites Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen zu verhindern, ist so allgemein formuliert, dass sich jeder darunter etwas Unterschiedliches vorstellen kann. Denn sofort stellen sich gleich mehrere Fragen:

  • Was ist mit „gerecht“ und „Gerechtigkeit“ hinsichtlich der Einkommensverteilung konkret gemeint?
  • Was wird unter „Einkommen“ verstanden, über welche Einkommensart wird geredet?
  • Wer soll das Ziel herstellen, welche Akteure werden angesprochen?
  • An welchen Ansatzpunkten sollen welche Instrumente eingesetzt werden?

Betrachtet man das Ziel „Gerechtigkeit in der Einkommensverteilung“ genauer, so lassen sich verschiedene Ausprägungen erkennen. […] Nach dem Konzept der Leistungsgerechtigkeit gelten Unterschiede dann als gerecht, wenn sie das Ergebnis von Unterschieden in der Leistung […] [sind]. Wer mehr leistet, soll ein höheres Einkommen erhalten als derjenige, der weniger leistet. Es ist jedoch von gesellschaftlichen Definitionen abhängig, was als Leistung verstanden und wie Leistung gemessen werden soll. […] Welche Werturteile fließen ein, wenn die Bezahlung einer Krankenschwester mit einem Elektriker oder gar einem Fluglotsen verglichen wird? Leisten Vorstandsvorsitzende von Dax-Konzernen beispielsweise mehr als 100-mal so viel wie ein durchschnittlicher Angestellter?

Durchschnittlichen Manager to Worker Pay Ratio der Dax-30-Unternehmen, 2005 bis 2017

Durchschnittlichen Manager to Worker Pay Ratio der Dax-30-Unternehmen, 2005 bis 2017 von Julian Becker, CC BY 4.0 . Quelle der Daten: Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.): Mitbestimmungsreport Nr.44, 07.2018: MANAGER TO WORKER PAY RATIO 2017, Düsseldorf.

Wenn Leistungsgerechtigkeit mit der Vorstellung verbunden ist, dass der Markt automatisch eine leistungsgerechte Verteilung der Arbeitseinkommen erzeugt, dann bleibt unberücksichtigt, dass auch andere Faktoren die Entlohnung bestimmen, dies gilt insbesondere für die Macht- und Knappheitsverhältnisse am Arbeitsmarkt. Die These, niedrige Verdienste seien ein Ausdruck niedriger Leistungen und hohe Verdienste seien auf hohe Leistungen zurückzuführen, basiert auf einer fragwürdigen Unterstellung. Denn wenn die Leistungsunterschiede ihrerseits wieder an den Einkommensunterschieden bemessen werden, liegt ein klassischer Zirkelschluss vor, der Einkommen an Leistung und Leistung wiederum an Einkommen misst. Diese Hinweise zeigen, dass das Konzept der Leistungsgerechtigkeit keine Aussage darüber zulässt, welches Ausmaß an Ungleichheit in der Einkommensverteilung wirklich den individuellen Leistungen entspricht oder ob Korrekturen vorgenommen werden müssen.

Wenn Bedarfsgerechtigkeit eingefordert wird, dann soll sichergestellt werden, dass der jeweilige Bedarf der Gesellschaftsmitglieder an Einkommen sowie Gütern und Dienstleistungen gedeckt ist. […] Erst durch eine „angemessene“ oder „ausreichende“ Ressourcenausstattung aller Bürgerinnen und Bürger sind diese in der Lage, ihre formellen Freiheitsrechte auch zu realisieren und zu nutzen. Auch beim Konzept der Bedarfsgerechtigkeit muss definiert werden, was als Bedarf verstanden, wie Bedarf gemessen und wessen Bedarf berücksichtigt werden soll. […]

Das Ziel der Bedarfsgerechtigkeit spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle bei der Sicherung des sozialkulturellen Einkommensminimums. Bei der Einkommensverteilung muss darauf geachtet werden, dass einzelne Mitglieder der Gesellschaft nicht in Gefahr geraten, dieses Minimum zu unterschreiten und unter Armut zu leiden. Offen bleibt jedoch, welche Einkommenshöhe garantiert werden soll und welche Personen unter welchen Bedingungen anspruchsberechtigt sind. Auch hier handelt es sich um normative Fragen, über die keineswegs automatisch ein gesellschaftlicher Konsens besteht.

Welches Einkommen ist gemeint?

Bei allen Maßnahmen, die die Einkommensverteilung beeinflussen und „gerechter“ gestalten sollen, muss unterschieden werden, welche Art bzw. Dimensionen des Einkommens im Fokus steht. In einem ersten Schritt geht es um die Verteilung der Markteinkommen. Zu fragen ist, ob das gesamtwirtschaftliche Verhältnis von Löhnen [..] und Gewinnen [..] als veränderungswürdig angesehen wird [funktionelle Einkommensverteilung]. Aber auch innerhalb der Einkommen aus abhängiger Arbeit ist zu prüfen, ob und wie die aufklaffende Spreizung zwischen niedrigen und hohen Vergütungen begrenzt oder rückgängig gemacht werden soll [Bestandteil der personellen Einkommensverteilung] […]. Von Bedeutung ist darüber hinaus, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der erwerbstätig ist und Erwerbseinkommen bezieht oder aber arbeitslos ist […].

Diese Einkommensverteilung vor dem Wirksamwerden des (Sozial)Staates bezieht sich auf die individuellen Bruttoerwerbseinkommen. Sie wird durch die Zahlung der unterschiedlichen Sozialleistungen (Geldleistungen der Zweige der Sozialversicherung, Grundsicherung, einkommensabhängige Transfers, Kindergeld usw.) korrigiert. Personen, die über kein Erwerbseinkommen (mehr) verfügen oder deren Erwerbseinkommen unzureichend hoch ist, erhalten damit ein zusätzliches Sozialeinkommen. Hier stellt sich die politische Frage, ob die Sozialeinkommen eine ausreichende Höhe haben oder nicht. Dies hängt maßgeblich davon ab, welchen Zielen diese Sozialeinkommen entsprechen sollen: Geht es […] um einen (zumindest partiellen) Ersatz des individuellen Erwerbseinkommens im Risikofall und um die Absicherung des Lebensstandards oder aber sollen die Leistungen der Grundsicherung Einkommensarmut vermeiden und das sozialkulturelle Existenzminimum sichern? […]

Die Einkommenslage nicht nur der Leistungsempfänger, sondern der gesamten Bevölkerung wird allerdings nicht nur durch das zufließende Einkommen bestimmt. Die Staatsaufgaben und -ausgaben insgesamt (einschließlich der Leistungen der Träger der Sozialversicherung) müssen durch Abzüge vom Markteinkommen (und teilweise auch der Sozialleistungen) sowie durch Verbrauchsteuern finanziert werden. Entsprechend reduzieren die erhobenen Steuern und Beiträge das Einkommen bzw. erhöhen die Preise; es kommt also in der Verteilungspolitik immer auf das verfügbare, d. h. auf das Nettoeinkommen an.

Welche Maßnahmen sind geeignet?

Wenn es das Ziel ist, die aktuelle Einkommensverteilung zu verändern, vor allem hinsichtlich einer Verminderung der Spreizung zwischen oben und unten […], gibt es nicht nur eine einzige Maßnahme, die hier Wirkungen entfalten kann, sondern vielmehr ein breites Spektrum von unterschiedlichen Interventionsformen und -ebenen, die miteinander in Wechselbeziehung stehen und jeweilige Gesamteffekte auslösen.

Am Anfang der Auflistung und Analyse möglicher Maßnahmen steht die Verteilung der Markteinkommen. […] Der erforderliche Umfang der nachträglichen Umverteilungsleistungen des Sozialstaates kann begrenzt werden […], wenn es gelingt, möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies setzt voraus, die Arbeitslosigkeit, und hier insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, abzubauen. Zudem muss für Frauen (wie auch für Männer!) die Möglichkeit verbessert werden, Berufstätigkeit und Kindererziehung wie auch die Pflege von älteren Angehörigen ohne längere Unterbrechungen zu verbinden. Dafür müssen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen ausgeweitet und sozial- wie steuerpolitische Fehlanreize beseitigt werden. Zugleich kommt es darauf an, dass mit der Erwerbstätigkeit ein ausreichend hohes und stabiles Einkommen verbunden ist. Erforderlich sind existenzsichernde Löhne und entsprechende Arbeitszeiten. Das setzt vor allem voraus, die Tarifautonomie zu stärken, die Schutzwirkung von Tarifverträgen auszuweiten und ergänzend für einen ausreichend hohen Mindestlohn zu sorgen. So lassen sich Niedriglöhne und die aufklaffenden Lohnspreizungen eindämmen.

Kommt der Sozialstaat mit seinen Leistungen einerseits und den Beitrags- und Steuerabzügen andererseits ins Spiel, bleibt genau zu prüfen, welche Personen bzw. Personengruppen im Nettoeffekt begünstigt […] oder belastet werden und in welchem Maße dadurch die Verteilung der Markteinkommen korrigiert werden kann. Leistungen aus den Grundsicherungssystemen zielen auf die Erhöhung von Niedrigeinkommen im Bereich der Armutsschwelle, währenddessen die Leistungen der Sozialversicherung auf die Stabilisierung der Einkommen im Lebensverlauf abstellen. […] [S]chwierig ist es, bei der Implementation zum Beispiel einer Erhöhung von unterschiedlichen Steuern zu beurteilen, wie diese sich auf Niveau und Struktur der Einkommensverteilung auswirken. Denn Steuererhöhungen wie auch -senkungen können auf den Arbeitsmarkt und das gesamtwirtschaftliche Wachstum zurückwirken.

Welche Akteure sind angesprochen?

Angesichts des breiten Spektrums von Interventionsebenen und -formen liegt es auf der Hand, dass in der Verteilungspolitik mehrere Akteure eine Rolle spielen. Niveau und Struktur der Bruttoentlohnung entwickeln sich am Arbeitsmarkt, zentral bestimmt durch die vertragsschließenden Tarifvertragsparteien – aber auch durch gesetzliche Vorgaben (Mindestlohn). Zugleich wird die Ordnung von Arbeitsmarkt und Arbeitsverhältnissen durch arbeits- und sozialrechtliche Normen geprägt. Verantwortlich ist hier in erster Linie der Bundesgesetzgeber, währenddessen Länder und Kommunen einen Einfluss auf eine familienfreundliche Infrastruktur haben. Das soziale Leistungsrecht fällt wie das Steuerrecht allein in die Zuständigkeit des Bundes.

Kommunen (Gemeinden, Städte, Landkreise) spielen auf der Ausgabenseite eine wichtige Rolle. Sie sind diesbezüglich wichtige Akteure. Ihnen kommt vor allem bei der Armutsbekämpfung eine auch historisch begründete Rolle zu. […]

Bei den Ländern ist das Aufgabenspektrum zwar größer, die finanziellen Spielräume und auch die Autonomie im Hinblick auf die Steuerhoheit sind aber ebenfalls eher begrenzt. Dennoch ist ihre sozialpolitische Rolle sehr bedeutsam. Gerade bei den realen Transfers und dabei insbesondere im Bildungsbereich kommt ihnen eine wichtige Rolle in der Armutsprävention zu, da eine bessere/höhere Bildung zwar keine Garantie, aber eine wichtige Voraussetzung ist, um nicht in Arbeitslosigkeit und Armut zu fallen. […]”

Gekürzte Version des Textes „Grundlagen der Verteilungspolitik“ von Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.deCC BY-NC-ND 3.0. Kürzungen nach freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung.

Der Text im Lernabschnitt „(Wie) kann eine gerechtere Verteilung erreicht werden?“ ist eine gekürzte Fassung von „Grundlagen der Verteilungspolitik“ von Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de und lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 Lizenz. Kürzungen nach freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung.

„Durchschnittlichen Manager to Worker Pay Ratio der Dax-30-Unternehmen, 2005 bis 2017“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.): Mitbestimmungsreport Nr.44, 07.2018: MANAGER TO WORKER PAY RATIO 2017, Düsseldorf.