Obgleich Anhänger des „Trickle-Down“-Ansatzes staatlichen Maßnahmen zur Umverteilung skeptisch gegenüberstehen, erkennen viele von ihnen an, dass eine gleichmäßigere Verteilung ein berechtigtes politisches Ziel sein kann, selbst wenn dies auf Kosten von Wirtschaftswachstum geht. Doch es gibt auch Wirtschaftsforscherinnen, die das anders sehen und mehr oder weniger jegliche staatliche Umverteilung ablehnen.

#Österreichische Schule

Einer von ihnen war der österreichische Ökonom und Philosoph Friedrich August von Hayek (1899–1992). Hayek war nicht nur ein herausgehobener Vertreter des Neoliberalismus und der „Österreichischen Schule“, einer Theorierichtung der Volkswirtschaftslehre, sondern gilt auch als einer der einflussreichsten Wirtschaftsforscher des 20. Jahrhunderts. Staatlicher Umverteilung stand er kritisch gegenüber. Wie begründete er seine Position?

Hayek war zum einen davon überzeugt, dass es sich bei Märkten um den besten Mechanismus handelt, um wirtschaftliche Prozesse zu koordinieren. Diese Koordinationsfunktion erfüllen Märkte aus seiner Sicht viel besser, als z. B. Staaten dies durch Lenkungsmaßnahmen erreichen könnten, denn auf Märkten würde eine riesige Menge an Informationen von Anbieterinnen und Nachfragerinnen zusammengetragen und verarbeitet. Keine staatliche Einrichtung sei in der Lage, mit all diese Daten umzugehen, erst recht nicht in Anbetracht einer sich ständig wandelnden Welt.

Ungleichheit: Wichtiges Signal im Marktmechanismus

Aufbauend auf dieser Sichtweise von Märkten war ökonomische Ungleichheit für Hayek nichts, was ihn störte. Ganz im Gegenteil: Er hielt sie für „hocherfreulich“, weil eine ungleiche Entlohnung dafür sorgen würde, dass Menschen dort arbeiten, wo sie den höchsten Lohn erhalten. Ungleichheit verstand er als Signal, mit dessen Hilfe Wirtschaftsprozesse koordiniert werden. Umverteilung würden diesen Anreizmechanismus lähmen und die Fähigkeit des Marktes zur Informationsverarbeitung und -weitergabe stören. Da es sich aber beim Markt in der Sichtweise Hayeks um einen überlegenen Koordinationsmechanismus handelt, dessen reibungsloses Funktionieren sicherzustellen sei, müssen die sich im Marktprozess ergebenden Ungleichheiten schlichtweg hingenommen werden.

„Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig. Gerade die Unterschiede in der Entlohnung sind es, die den einzelnen dazu bringen, das zu tun, was das Sozialprodukt erst entstehen lässt. Durch Umverteilung lähmen wir diesen Signalapparat. Diejenigen, die die Reichen attackieren, vergessen, dass die meisten von ihnen im Verlaufe des Reichwerdens Arbeitsplätze schufen und so mehr Leuten geholfen haben, als wenn sie ihr Geld den Armen gegeben hätten.“

F. A. von Hayek, 1981

Hayek ging aber noch einen Schritt weiter: Für ihn war Ungleichheit der eigentliche Motor wirtschaftlicher Entwicklung: Indem reiche Bevölkerungsschichten ihren Reichtum offen zur Schau stellen, würde bei ärmeren Bevölkerungsgruppen ebenfalls der Wunsch nach Reichtum geweckt. So würde ein Anreiz zu mehr wirtschaftlicher Leistung entstehen und ein Evolutionsprozess zu mehr Wohlstand in Gang gesetzt. Ungleichheit sei also das, was den Wohlstand vorantreibe. Wo umverteilt wird, würde dieser Fortschrittsmotor abgewürgt.

Die Möglichkeit zu Profiten würde zudem dazu führen, dass die Reichen Arbeitsplätze schaffen würde, wovon dann auch die ärmeren profitieren – hier sehen wir wieder das „Trickle-Down“-Argument, was uns oben schon begegnet ist.

„Auch die heute Ärmsten verdanken ihr relatives materielles Wohlsein den Folgen vergangener Ungleichheit.“

F. A. von Hayek, 1960

Hinzu kommt, dass aus Hayeks Sicht Freiheit der wichtigste Wert für eine Gesellschaft war, wobei er Freiheit ausschließlich als Abwesenheit von (staatlichem) Zwang definierte (sogenannter negativer Freiheitsbegriff). Als Zeitzeuge des Aufstiegs von faschistischen und kommunistischen Diktaturen war er skeptisch gegenüber jeglicher Art von staatlichem Eingreifen, in dem er immer schon den Samen zur Entstehung einer Diktatur sah. Dies galt aus seiner Perspektive sogar für den keynesianisch geprägten, demokratischen Sozialstaat, wie er in Nordamerika und Westeuropa in der Zwischen- und Nachkriegszeit entstand. Insbesondere Maßnahmen zur Veränderung der Eigentumsordnung lehnte er vor dem Hintergrund seines Freiheitsverständnisses als unrechtmäßige Aneignung des Staates ab.

Kritik der „sozialen Gerechtigkeit“

Den in diesem Zusammenhang häufig genutzten Begriff der „soziale Gerechtigkeit“ lehnt er rundum ab: Laut Hayek war es grundsätzlich nicht möglich, aus den vielen Einzelinteressen der Individuen irgendeine Art von Allgemeininteresse, z. B. in Form eines bestimmten Verteilungsergebnisses, abzuleiten. „Gerecht“ oder „ungerecht“ könnten höchstens Verfahrensregeln oder die Intentionen einzelner Individuen sein. Es sei aber sinnlos, einen sozialen (Verteilungs)zustand als „gerecht“ oder „ungerecht“ zu beschreiben, da dieser Zustand – zumindest in einer Marktwirtschaft – nicht das Ergebnis einer bewussten Zuteilung von ökonomischen Ressourcen an einzelne Individuen sei, sondern das Ergebnis vieler individueller Handlungen, die für sich genommen nicht das Ziel hatten, ein bestimmtes gesamtgesellschaftliches Verteilungsergebnis herbeizuführen.

„“Mehr als zehn Jahre lang habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffs soziale Gerechtigkeit herauszufinden. Der Versuch ist gescheitert; […] ich bin zu dem Schluss gekommen, dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.“

F. A. von Hayek, 1973

Laut Hayek kann der Staat also dem Allgemeininteresse nur insofern dienen, als er für eine rechtliche Gleichbehandlung aller Individuen sorgt, ihnen die Freiheit zum eigenständigen Handeln und gegenseitiger Bedürfnisbefriedigung lässt, für die Einhaltung der Spielregeln (z. B. von Verträgen) sorgt und das Privateigentum schützt. Ein bestimmtes Ziel sozialer Gerechtigkeit zu verfolgen war in Hayeks Augen aber vor allem ein gefährlicher Schritt in Richtung Diktatur.

Der Text im Lernabschnitt „Umverteilung: Gefahr für Freiheit und Fortschritt?“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.


Die Abbildung „Friedrich August von Hayek“ ist gemeinfrei.

Im Buch „Soziale Gerechtigkeit. Ideen, Geschichte, Kontroversen“ von Thomas Ebert (2. Auflage, Bonn, 2015) gibt es eine Zusammenfassung und kritische Auseinandersetzung mit der Ablehnung des Begriffs der “Sozialen Gerechtigkeit” durch Friedrich August von Hayek.