Seit 1997 wird in Deutschland die Vermögensteuer nicht mehr erhoben. Gleichzeitig ist die Ungleichheit bei den Vermögen sehr hoch. Wäre es also Zeit, diese Vermögen wieder zu besteuern? Im folgenden Lernabschnitt findest du dazu Argumente von Anhängerinnen und Gegnerinnen einer Vermögenssteuer. Wie überzeugend findest du die verschiedenen Argumente?

POSITION 1: „Vermögensbesteuerung – unverzichtbar für eine gerechte Zukunftsgestaltung“ (Economists for Future, 2021)

„Im Vergleich mit anderen Ländern in Europa zeichnet sich Deutschland durch eine besonders ungleiche Vermögensverteilung aus, die zudem im langfristigen Trend gestiegen ist. Das DIW […] schätzt […], dass das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland mehr als 35 Prozent des privaten Vermögens […] besitzt […]. Allein das reichste Tausendstel besitzt mehr als 20 Prozent.

Gleichzeitig ist Vermögen sehr anhänglich. Die 700 wertvollsten Familienunternehmen haben ihren Ursprung laut einer Studie […] mehrheitlich noch vor dem Jahr 1918. Die größten privaten Forsteigentümer in Deutschland sind ausweislich einer Aufstellung der FAZ größtenteils alte Adelsfamilien. Die in Deutschland bestehende Erbschaftsteuer hat daran offenbar nichts geändert. […]

Die sehr hohe Ungleichheit der Vermögen – die in Deutschland viel höher ist als die Ungleichheit der Einkommen – ist ein zentrales Argument für Vermögensbesteuerung. Eine Steuerreform kann gezielt die Spitze der Vermögensverteilung – den Superreichtum – abschleifen, der zudem mit nicht demokratisch legitimierter politischer Macht verbunden ist.

Hinzu kommt die Frage der Gerechtigkeit, denn Erbschaften und Vermögen privilegieren bereits ab dem Kindesalter enorm gegenüber Menschen und Familien, die nur auf ihre Arbeitseinkommen angewiesen sind.

Als zweites zentrales Argument für eine Vermögensbesteuerung sehen wir, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung von notwendigen staatlichen Investitionen, etwa in eine grüne Wirtschaft zur Erreichung der Klimaziele, und für eine Stärkung des Sozialstaats leisten kann. Insbesondere solange die schädliche Schuldenbremse besteht, sind dafür hohe Mehreinnahmen erforderlich, die durch Vermögensbesteuerung generiert werden können, ohne die breiten Schichten der Bevölkerung zusätzlich zu belasten. […]

Grundsätzliche Ausgestaltung der Vermögensteuer

Angesichts der extremen Konzentration der Vermögen ist es sinnvoll und auch hinreichend, um erhebliche zweistellige Milliardenbeträge jährlich zu erzielen, dass sich die Besteuerung auf die wirklich Reichen mit Multimillionen- und Milliardenvermögen konzentriert. Die Maßnahmen zielen somit auf das reichste Prozent der Bevölkerung und nicht auf die obere Mittelschicht. Eine so ausgestaltete Vermögensteuer genießt nach allen vorliegenden Umfragen eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Wir schlagen daher einen persönlichen Freibetrag von einer Million Euro Nettovermögen vor […].

Steuerpflichtig wäre das gesamte Sach- und Finanzvermögen, abgesehen von Gebrauchsvermögen. Selbstgenutztes Wohneigentum im üblichen Rahmen sollte nicht besteuert werden. Für gebundenes Altersvorsorgevermögen sind zusätzliche Freibeträge vorzusehen.

[…] Die Bewertung der verschiedenen Vermögensarten sollte gleichmäßig und nahe am Marktwert erfolgen. Dabei kann auf das bestehende Bewertungsgesetz zurückgegriffen werden.

Um einen wirksamen Beitrag zur Begrenzung der besonders großen Privatvermögen zu leisten, schlagen wir einen progressiven Tarif vor. Für die Vermögensteile über dem Freibetrag würde eine Besteuerung mit einem Prozent pro Jahr veranlagt werden, die bis auf fünf Prozent auf die Vermögensteile oberhalb von 30 Millionen Euro anstiege. […] Studien zeigen dabei, dass die erzielten Renditen mit dem Vermögen ansteigen, so dass in der Regel diese Steuern aus den Vermögenserträgen bzw. Wertzuwächsen gezahlt werden können.

Wir halten allerdings auch eine Besteuerung der Vermögenssubstanz bei sehr großen Vermögen für gerechtfertigt oder sogar notwendig, wenn soziale Ungleichheit ernsthaft begrenzt werden soll. Ein 2003 für ver.di erstelltes Rechtsgutachten […] machte deutlich, dass sich aus dem Grundgesetz kein Verbot der Substanzbesteuerung herleiten lässt. Gleichwohl ist aktuell die überwiegende juristische Auffassung, dass eine Besteuerung unzulässig sei, die nicht aus laufenden Einkünften bedient werden kann. Nötigenfalls könnten für solche Fälle Ausnahmeregelungen getroffen werden. Letztlich kommt es bei der verfassungsrechtlichen Bewertung jedoch auf die konkrete Ausgestaltung der Steuer und das gesellschaftspolitische „Klima“ an, das auf die juristischen Bewertungen einwirkt. Zudem kann auch das Grundgesetz in diesem Sinne präzisiert werden, dass Substanzbesteuerung möglich ist, wenn entsprechende Mehrheiten existieren.

Besteuerung von Betriebsvermögen

Eine zentrale Frage der Vermögensbesteuerung ist der Umgang mit der Besteuerung von Betriebsvermögen und Unternehmen. Die von mächtigen und finanzkräftigen Lobbyorganisationen vorgetragene Behauptung, die Besteuerung von Betriebsvermögen würde Unternehmen und Arbeitsplätze gefährden, ist der zentrale Einwand, mit dem eine effektive Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung bisher verhindert wurde.

Gerade besonders große Vermögen liegen überwiegend in Form von Betriebsvermögen vor oder können in solches umgewandelt werden, indem Vermögensgüter in ein Unternehmen eingebracht werden. Betriebsvermögen auszunehmen würde also dazu führen […], dass die größten Vermögen systematisch von der Steuer verschont bleiben. Die Hauptprofiteure sind nicht etwa kleine und mittlere Unternehmen, sondern die superreichen Eigentümer*innen großer Unternehmensvermögen und Aktienpakete, denn all dies zählt steuerlich als Betriebsvermögen.

Eine Besteuerung von Betriebsvermögen ist somit in Hinblick auf Verteilungswirkung und Einnahmepotenzial unumgänglich. Ausnahmen sind auf das für die Fortführung kleiner und mittelständischer Unternehmen notwendige Betriebsvermögen zu beschränken. Hier ist häufig von einer besonderen Bindung der Eigentümer*innen an den Betrieb und Interessen an seiner Fortführung auszugehen. Wir schlagen deshalb vor, bei der Vermögensteuer einen besonderen hohen Freibetrag von fünf Millionen Euro für betriebsnotwendiges Vermögen vorzusehen.

Ansonsten sind Regelungen bei Zahlungsproblemen zu finden, bei denen der Besteuerungsanspruch jedoch nicht aufgegeben wird. Dies kann durch Stundung oder Übernahme von Eigentumsanteilen durch den Staat oder einen staatlichen Fonds anstatt einer Barzahlung erfolgen. […]

Potenziell problematisch für die Unternehmen ist die Besteuerung nur, soweit die notwendigen Finanzmittel von den Unternehmen selbst aufgebracht werden müssen. Wenn Eigentümer Anteile verkaufen, um ihren Steuerpflichten nachzukommen, schmälert das nicht das Kapital der Unternehmen selbst, sondern verändert lediglich die Eigentümerstruktur. Die konkrete Unternehmensführung wird bei größeren Unternehmen in der Regel ohnehin von angestelltem Management und nicht den Eigentümer*innen selbst erledigt. Öffentliche Eigentumsanteile haben sogar eine stabilisierende Wirkung vor allem für inländische Standorte und schrecken potenziell problematische Übernahmeversuche ab.

Um Schlupflöcher zu stopfen und eine Bevorteilung von Unternehmen in ausländischem Eigentum, die sonst nicht besteuert würden, zu vermeiden, sind auch die Vermögen juristischer Personen, insbesondere von Kapitalgesellschaften, zu besteuern. Das war auch bei der bis 1996 in Deutschland erhobenen Vermögensteuer der Fall und erbrachte einen großen Teil des Steueraufkommens (bis in die 1980er Jahre über die Hälfte). […] [W]ir schätzen, dass nach unserem Vorschlag einer progressiven Ausgestaltung der Vermögensteuer mit hohen Freibeträgen jährlich über 50 Milliarden Euro eingenommen werden könnten. Die Verwaltungskosten für den Staat dürften bei unter einem Prozent des Aufkommens liegen, die Befolgungskosten der Steuerpflichtigen unter zwei Prozent. […] Aufgrund der progressiven Steuersatzgestaltung dürften etwa 85 Prozent des Steueraufkommens von den reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung aufgebracht werden. […]

Angesichts der Schuldenbremse würde eine Vermögensbesteuerung zusätzlich den nötigen Gestaltungsspielraum für eine bessere Wirtschaftsentwicklung durch Investitionen in Infrastruktur, den sozial-ökologischen Umbau zur Erreichung des 1,5°-Ziels und mehr Beschäftigung in Bildung, Gesundheitswesen und Daseinsvorsorge ermöglichen. […]“

Wirtschaftlicher Niedergang durch Investitionsrückgang aufgrund einer Vermögensteuer? „rusty mechanism“ von Sergei F, CC BY 2.0, via flickr.com.

POSITION 2: Vermögenssteuer: „Eine kontraproduktive Idee“ (Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2021)

„Manch einer sieht in einer Steuer auf Vermögen das Allheilmittel gegen Ungleichheit und soziale Schieflagen in Deutschland. Gerade in Wahlkampfzeiten gewinnt die Steuer deshalb immer wieder Unterstützer. Doch mehrere Gründe sprechen gegen sie – vor allem die Investitionsfähigkeit und -tätigkeit von Unternehmen würde erheblich leiden.

Die Vermögensteuer ist tot, lang lebe die Vermögensteuer: In Deutschland ist die umstrittene Steuer nämlich nicht abgeschafft, sie wird seit 1997 nur nicht mehr erhoben. Grund für das Aussetzen ist, dass Immobilien bei der Vermögensberechnung nicht mit dem Marktwert erfasst wurden, was dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlief.

Tatsächlich ist die Vermögensbewertung seit jeher die Krux einer jeden Form der Vermögensteuer. Das fängt schon bei einem Aktiendepot an, dessen Wert sich zwischen Stichtag und Steuerbescheid erheblich verändern kann – in beide Richtungen.

Vieles spricht gegen eine Vermögensteuer; vor allem belastet sie Gewinne so stark, dass die Investitionsfähigkeit der Unternehmen erheblich leidet.

Noch schwieriger verhält sich die Sache bei Betriebsvermögen. So ist es nahezu unmöglich, den Wert eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens halbwegs präzise zu schätzen. Und selbst der Wert von Firmen, die an der Börse notiert sind, ist nicht frei von Abhängigkeiten:

Niedrigzinsphasen treiben Aktienkurse auf dem Papier in die Höhe, weil sich Zinspapiere wie Anleihen als alternative Anlageform kaum noch lohnen.

Im Ergebnis ist es also schwer, Vermögen exakt zu beziffern. Deshalb gehen Experten davon aus, dass der Aufwand, der damit verbunden ist, die Steuergrundlage zu erheben und den Anforderungen des Fiskus Rechnung zu tragen, bis zu 20 Prozent der Einnahmen aus einer Vermögensteuer betragen kann – inklusive zu erwartender Rechtsstreitigkeiten.

Video „Vermögensteuer: 5 Fakten“ von DIE FAMILIENUNTERNEHMER. Das Video steht nicht unter einer offenen Lizenz und wird hier von youtube.com eingebettet.

Vermögensteuer steht in einigen Wahlprogrammen

Nichtsdestotrotz haben sich Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die SPD Pläne für eine neue respektive wiederbelebte Vermögensteuer ins Wahlprogramm geschrieben.

Und das, obwohl ein weiteres Argument gegen eine entsprechende Steuer noch schwerer wiegt als jenes der problematischen Vermögensermittlung: Keine Steuer ist investitions- und wirtschaftsfeindlicher, wie es das IW in einer neuen Studie formuliert.

Das Institut zeigt anhand einer Beispielrechnung, wie gravierend sich schon eine Vermögensteuer in Höhe von lediglich 1 Prozent auf Investitionen auswirken würde (Grafik):

Eine Vermögensteuer von 1 Prozent auf den Unternehmenswert kann dazu führen, dass Firmen über 10 Prozent weniger von ihrem für Investitionen angesparten Gewinn zur Verfügung haben als ohne eine entsprechende Steuer.

Aus 1 Prozent Steuer werden 8 Prozent weniger Gewinn

Laut Bewertungsgesetz ist eine Firma mit 500.000 Euro Gewinn rund 4,8 Millionen Euro wert. Bei einem Freibetrag von 1 Million Euro und einer – angenommenen – Vermögensteuer von 1 Prozent summiert sich diese auf mehr als 38.000 Euro; hinzu kommen Abgeltungsteuer und Soli. Das Ergebnis:

Statt fast 345.000 Euro Gewinn bleiben nur knapp 293.000 Euro übrig, die Gesamtabgabenbelastung des von der Kapitalgesellschaft erzielten Gewinns steigt von 31,1 auf 41,5 Prozent.

Auch andere Beispielrechnungen des IW kommen zu einem ähnlichen Ergebnis – wenn etwa der Gewinn nicht einbehalten, sondern ausgeschüttet wird, oder im Fall eines Einzelunternehmens statt einer Kapitalgesellschaft:

In allen Fällen führt eine Vermögensteuer von 1 Prozent zu einem Rückgang des Gewinns um mindestens rund 8 Prozent.

Das würde den Wirtschaftsstandort Deutschland erheblich unattraktiver machen und Investitionen würden wahrscheinlich verstärkt im Ausland erfolgen.

Vermögensteuer gefährdet andere Steuereinnahmen

Hinzu kommt, dass sehr wohlhabende Personen ihr Vermögen vor einer Vermögensteuer in Sicherheit bringen würden – in der Fachsprache ist hier von der ,Elastizität der Bemessungsgrundlage‘ die Rede. Und selbst wenn ebendiese Elastizität sehr moderat mit minus 0,25 veranschlagt wird, könnte das im Ergebnis zu einem Verlust an Steueraufkommen in Höhe von 40 Prozent im Vergleich zum vorher erwarteten Betrag führen. Schließlich sind es schon heute die wohlhabendsten Bundesbürger, die den überwiegenden Teil der Steuern zahlen.

Schließlich spricht noch ein weiterer Punkt gegen die Wiederbelebung der Vermögensteuer: Sie ist laut Simulationsrechnungen keineswegs in der Lage, die Vermögensungleichheit in Deutschland nennenswert zu verringern.

So würde eine Vermögensteuer mit den in den Beispielberechnungen zugrunde gelegten Annahmen den Gini-Koeffizienten – eine Messgröße der Ungleichheit – selbst nach zehn Jahren um nicht einmal 1 Prozent reduzieren.“

Welche Argumente überzeugen dich?

Oben hast du eine Reihe von Argumenten kennengelernt, die für und gegen die Einführung einer Vermögensteuer sprechen. Wie sehr überzeugen dich diese Argumente? Bist du für oder gegen die Wiedererhebung der Vermögensteuer? Dies kannst du versuchen, mit der Argumentationswippe herauszufinden. Die Argumentationswippe ist ein Online-Tool zum Erlernen von Argumentationen, das von Georg Wicke-Arndt entwickelt wurde.

Die Argumentationswippe wird hier eingebettet von https://argumentationswippe.de/.

Gebe zunächst oben den Titel ein. Arbeite dann die Pro- und Contra-Argumente zur Wiedereinführung der Vermögensteuer aus den Texten/Videos heraus (alleine oder in Gruppenarbeit). Für jedes Argument kannst du mit einem Klick auf das +-Zeichen eine Karteikarte erstellen. Lege diese Karte dann auf einer der Positionen der Wippe ab. Natürlich gilt: Je weiter außen du die Karte ablegst, umso schwerer wiegt das Argument aus deiner Sicht. Möchtest du die Eintragungen in die Wippe speichern, kannst du dies mit dem „Speichern“-Symbol machen. Möchtest du an den Eintragungen weiterarbeiten, musst du zunächst unter dem „Öffnen“-Symbol deine gespeicherte Datei öffnen. Achtung: Wenn du die Webseite schließt, gehen deine Eintragungen verloren.

Der Text „Vermögensbesteuerung – unverzichtbar für eine gerechte Zukunftsgestaltung“ von Ralf Krämer und Yannick Schwarz/Economist for Future, 2021 ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Das Video „Vermögenssteuer: Warum ist die Industriellenvereinigung dagegen? Natascha Strobl analysiert.“ von MOMENT Magazin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Der Text „Vermögensteuer: Eine kontraproduktive Idee“ von Institut der deutschen Wirtschaft IW Medien/iwd wurde freundlich zur Verfügung gestellt unter der Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Das Video „Vermögensteuer: 5 Fakten“ von DIE FAMILIENUNTERNEHMER ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht. Es wird hier von youtube.com eingebettet.

„Steuer fressen Investitionen auf“ von Institut der deutschen Wirtschaft IW Medien/iwd, 2021 wurde freundlich zur Verfügung gestellt unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.