Die Verteilung des Einkommens wird häufig als wichtigste Dimension der ökonomischen Ungleichheit angesehen, weil die Einkommenshöhe einen unmittelbaren Einfluss auf den Zugang zu gesellschaftlich relevanten Ressourcen hat. Doch es gibt nicht nur verschiedene Arten von Einkommen, sondern auch mehrere Blickwinkel auf die Einkommensverteilung.

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Der folgende Text bezieht sich auf die H5P-Anwendung unten. Hier siehst du Abbildungen, zwischen denen du dich mit einem Schieberegler bewegen kannst. Denk daran, mit dem Schieberegler zum nächsten Bild zu gehen, wenn du an die entsprechende Textstelle kommst. Zwei wichtige Hinweise vorab:

  1. Die Grafiken dienen dazu, konzeptionelle Zusammenhänge zu verdeutlichen und sollten nicht als Veranschaulichung tatsächlicher Daten missverstanden werden. Mit echten Verteilungsdaten setzen wir uns erst in einem der nächsten Lernabschnitte auseinander.
  2. Wir blenden an dieser Stelle internationale Einkommensströme aus.

H5P-Element „Von der funktionellen zur personellen Einkommensverteilung“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Abbildung 1: Der Ursprung der Einkommen im Produktionsprozess

Einkommen entstehen im Produktionsprozess, der auch das Bruttoinlandsprodukt hervorbringt. In diesem Prozess werden verschiedene Rollen eingenommen bzw. Funktionen erfüllt (siehe die oberste Zeile von Abb. 1), die unterschiedliche Einkommensarten erzeugen (siehe die zweite Zeile von Abb. 1). Dazu einige Beispiele:

  • Die Arbeitnehmerinnen stellen den Unternehmen oder dem Staat ihre Arbeitskraft zur Verfügung und erhalten dafür ein Einkommen in Form von Löhnen (bei Arbeiterinnen) und Gehältern (bei Angestellten).
  • Kapitaleigentümerinnen stellen ihr Kapital zur Verfügung, wodurch ein Kapitaleinkommen entsteht. Bei Kapital darf man hier nicht nur an einen verliehenen Geldbetrag denken, der Zinsen abwirft. Auch Mieteinnahmen, die man für die Vermietung einer Wohnung [= Immobilienkapital] erhält oder Dividendenzahlungen, die aufgrund des Aktienbesitzes zufließen, sind Kapitaleinkommen.
  • Selbstständige erbringen beispielsweise eine Dienstleitung in Form einer Rechtsberatung bei einer Rechtsanwältin oder einer Behandlung bei einer Ärztin und erhalten dafür ein Selbstständigeneinkommen. Es sind aber auch viele andere Formen der selbstständigen Tätigkeit möglich.
  • Unternehmerinnen organisieren und koordinieren in ihrem Unternehmen die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen und können dabei einen Gewinn erwirtschaften und sich einen Unternehmerinnenlohn auszahlen.

In einer ersten Perspektive auf die Verteilung, die sich an diesen Funktionen im Produktionsprozess orientiert und deshalb funktionelle Einkommensverteilung genannt wird, werden die Einkommen entsprechend ihrer Art zu zwei Gruppen zusammengerechnet (siehe Zeile zwei der Abb. 2): Arbeitseinkommen und Kapitaleinkommen/Gewinneinkommen. Die Ermittlung dieser zusammengerechneten Werte ist einigermaßen gut möglich, weil Einkommen durch den Staat besteuert werden und der Staat deshalb mehr oder weniger gut weiß, wie hoch die Einkommen insgesamt gewesen sind. Diese zusammengerechneten Einkommen lassen sich dann im Hinblick auf Ihre Höhe vergleichen.

Abbildung 2: Lohnquote und Gewinnquote

Die wichtigste Kennziffer, die im Zuge dieser Aggregation entsteht, ist die Lohnquote. Sie gibt den prozentualen Anteil der Einkommen abhängig Beschäftigter (also der Löhne und Gehälter) an allen Einkommen bzw. dem BIP an (das dunkelgrüne Tortenstück im Tortendiagramm bei Abb. 2). Diese Einkommen bilden den größten einzelnen „Einkommensblock“. Alle weiteren Einkommensarten (z. B. Kapitaleinkommen, Unternehmensgewinne, Unternehmerinnenlohn, Einkommen von Selbstständigen) werden in dieser Betrachtung unter „Gewinne“ zusammengefasst und bilden somit die Gewinnquote (das hellgrüne Tortenstück). Lohn- und Gewinnquote ergeben zusammen 100 Prozent.

BIP = Lohneinkommen + Kapitaleinkommen

\(\text{Lohnquote}=\frac{\text{Lohneinkommen}}{\text{BIP}}\)

\(\text{Gewinnquote}=\frac{\text{Kapitaleinkommen}}{\text{BIP}}\)

Lohnquote + Gewinnquote = 100 %

Lohnquote in Prozent des BIP, 2000–2022

Lohnquote (in Prozent des BIP), 2000 bis 2022 von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: Ameco-Datenbank der EU-Kommission.

Hinweise:

  1. Hier ist die bereinigte Lohnquote als Anteil der Arbeitseinkommen am BIP angegeben. “Bereinigt” meint, dass berücksichtigt wird, dass sich die personenmäßigen Anteile von abhängig Beschäftigten und Selbstständigen im Zeitverlauf verändern. Entscheiden sich z. B. Personen dazu, ihre selbstständige Tätigkeit aufzugeben und eine abhängige Beschäftigung anzutreten, würde das ohne Bereinigung zu einem Anstieg der Lohnquote führen, ohne dass sich z. B. automatisch eine Verbesserung der Lage der abhängig Beschäftigten ergeben hätte, nur weil neue abhängig Beschäftigte hinzugekommen sind. Solchen Fehlschlüssen kann eine Bereinigung vorbeugen.
  2. Die Niveauunterschiede zwischen den Ländern bei der Lohnquote sind höchstens bedingt aussagekräftig. Sie hängen z. B. damit zusammen, dass es in manchen Ländern Gewinnbeteiligungen der Beschäftigten gibt, wodurch die Lohnquote geringer ausfällt, ohne dass es den Beschäftigten deshalb „schlechter geht“. Andererseits kann es trotzdem aufschlussreich sein, die Entwicklung verschiedener Lohnquoten in der historischen Entwicklung zu betrachten.

Zwei Ergänzungen scheinen hier angebracht, um die Ausführungen zur funktionellen Einkommensverteilung zu vervollständigen:

  1. Manchmal wird es vereinfacht so dargestellt, also ob die Lohnquote den Anteil des Produktionsfaktors „Arbeit“ am gesamten volkswirtschaftlichen Kuchen abbilde, während die Gewinnquote den Anteil des Produktionsfaktors „Kapital“ beschriebe. Doch das ist nur teilweise richtig: So finden sich beispielsweise auch die Einkommen von Selbstständigen in der Gewinnquote wieder, selbst wenn diese ihr Einkommen primär der Verausgabung ihrer Arbeitskraft verdanken und bei ihrer Tätigkeit gar kein oder nur sehr wenig Kapital zum Einsatz kommt, somit schwerlich als Einkommen des Produktionsfaktors “Kapital” interpretiert werden kann (z. B. eine selbstständige Grafikdesignerin, deren einziges Kapital ihr PC ist). Das Einkommen einer Topmanagerin eines Unternehmens hingegen, die vorrangig die Interessen der Kapitaleigentümerinnen vertritt, ist hingegen in der Lohnquote enthalten.
  2. Die Schilderung der verschiedenen Funktionen im Produktionsprozess, wie wir sie oben vorgenommen haben, wird nicht zwingend von allen Perspektiven der Wirtschaftsforschung geteilt. So würde beispielsweise eine Vertreterin der Marxistischen Politischen Ökonomie die Rolle von Kapital, Arbeit und Unternehmerinnen anders darstellen. Wir halten uns an dieser Stelle an die Begriffe, die sich innerhalb der statistischen Erfassung wirtschaftlicher Vorgänge durchgesetzt haben.

Abbildung 3: Von der funktionellen zur personellen Verteilung

Die funktionelle Einkommensverteilung gibt einen guten Überblick darüber, welcher Anteil den verschiedene am Produktionsprozess beteiligten Akteurinnen (z. B. Arbeitnehmerinnen und Kapitalistinnen) als Gesamtgruppen zufällt. Wir erfahren hierdurch aber nichts darüber, wie sich die Einkommensrealität der einzelnen Personen oder Haushalte darstellt.

Dazu müssen wir uns der personellen Einkommensverteilung zuwenden (schiebe den Regler auf Abb. 3). Bei dieser Verteilungsperspektive wird geschaut, wie hoch das gesamte Einkommen ist, dass den Personen durch die verschiedenen Einkommensquellen zufließt und wie sich die daraus ergebenden Einkommenshöhen voneinander unterscheiden.

Dieser Art der Einkommensverteilung wird in der öffentlichen Debatte häufig die meiste Aufmerksamkeit geschenkt. Dafür gibt es gute Gründe, denn zum einen unterscheiden sich die oben gebildeten Gesamtgruppen „innerlich“ erheblich: In die Gruppe der Arbeitnehmerinnen fällt beispielsweise sowohl die Paketzustellerin mit einem Bruttojahreseinkommen von 30.000 Euro, als auch die Vorstandsvorsitzende eines DAX-Konzerns mit einem Bruttojahreseinkommen von 4.000.000 Euro. Diese Unterschiede bleiben bei einer Betrachtung der funktionellen Einkommensverteilung unsichtbar.

Außerdem können Haushalte Einkommen aus verschiedenen der oben dargestellten Einkommensarten erhalten: Wenn auch viele Arbeitnehmerinnen ausschließlich ihr Arbeitseinkommen beziehen (auf Transfereinkommen gehen wir unten noch ein), gibt es natürlich auch solche, die zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen nebenbei ein Kapitaleinkommen beziehen (z. B. durch Vermietung einer Wohnung, die sich in ihrem Eigentum befindet). Und auch vermögende Personen, die hohe Kapitaleinkommen haben, können gleichzeitig abhängig beschäftigt sein, also ein Arbeitseinkommen beziehen.

Auch wenn der Begriff personelle Einkommensverteilung dabei den Eindruck vermittelt, es ginge ausschließlich um die Einkommen von Personen, werden im Zuge der personellen Einkommensverteilung oft nicht Personen, sondern Haushalte miteinander verglichen. Schließlich leben in Deutschland knapp unter 60 Prozent aller Menschen in Mehrpersonenhaushalten, die ihr Einkommen häufig gemeinsam verwenden. Bei einer solchen Betrachtung werden alle Einkommen, die dem Haushalt zufallen, zusammengerechnet. Mithilfe von Gewichtungsverfahren wird versucht, die Einkommen von Haushalten unterschiedlicher Größe vergleichbar zu machen.

Der Schritt von der funktionellen Einkommensverteilung zur personellen Verteilung der Einkommen wird in Abb. 3 deutlich: Hier siehst du, dass die einzelnen Haushalte unterschiedlich groß sind und ihr Einkommen aus verschiedenen Einkommensarten beziehen. Daraus bildet sich eine Verteilung mit von links nach rechts größer werdenden Einkommenstürmen. In der Gesamtsumme sind diese Einkommen wieder genau so groß wie das BIP.

Wollen Ungleichheitsforscher diese personelle Einkommensverteilung ermitteln, ist dies etwas kniffliger als bei der funktionellen Verteilung. Denn zusätzlich zu den staatlichen Daten müssen nun auch Befragungsdaten verwendet werden, um einen Überblick über die Einkommenslage der Haushalte zu erlangen. Solche Befragungsdaten bringen eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich.

Video „Was ist Einkommen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie, CC BY 3.0. Das Video wird hier von youtube.com eingebettet.

Abbildungen 4 und 5: Von der primären zur sekundären Einkommensverteilung

Einen wichtigen Spieler im „Verteilungsspiel“ haben wir bisher noch nicht in den Blick genommen: den Staat. Damit sind im deutschen Fall nicht nur der Bund, sondern auch die Länder, Kommunen und Sozialversicherungen gemeint. Die oben dargestellte Verteilung der Einkommen über die Haushalte stellt nämlich nur die sogenannte primäre Einkommensverteilung dar. Damit sind die Einkommen gemeint, die sich am Markt ergeben, ohne dass der Staat durch Steuern, Sozialabgaben und Transfers ins Spiel kommt. Für die Haushalte – und auch die Verteilungsanalyse – ist es aber besonders wichtig, was „unterm Strich rauskommt“, also, wie hoch das Einkommen ist, dass den Haushalten im Endeffekt zur Verfügung steht. Diese nennt man das verfügbare Einkommen.

Dabei nimmt der Staat einerseits durch die Besteuerung Einfluss auf die Einkommensverteilung. Beispielsweise reduziert die progressiv gestaltete Einkommensbesteuerung die Einkommensungleichheit, die sich am Markt ergibt: Haushalte mit höheren Einkommen müssen auf ihr Einkommen einen höheren prozentualen Steuersatz bezahlen. Wir werden später darauf zurückkommen.

Hinzu kommen die Abgaben, die an das staatliche Sozialversicherungssystem gezahlt werden und aus denen dann z. B. Transferleistungen in Form von Renten oder Arbeitslosenunterstützung gezahlt werden (Abb. 5). Schließlich zahlt der Staat außerdem diverse steuerfinanzierte Transfers, für die zuvor nicht in eine Sozialversicherung eingezahlt wurde (z. B. Kindergeld, Elterngeld, Unterstützungszahlungen in der Corona-Pandemie). Werden alle diese Abzüge und Transfers berücksichtigt, haben wir das verfügbare Einkommen der Haushalte ermittelt, dass diese dann z. B. zu Konsumzwecken ausgeben können.

Auch diese verfügbaren Einkommen kann man einer Verteilungsanalyse unterziehen. Beachte, dass sich durch die Rolle des Staates im Ganzen eine etwas gleichmäßigere Einkommensverteilung ergibt: Der Anstieg der Einkommenstürme von links nach rechts ist in Abb. 5 flacher, als dies bei der primären Einkommensverteilung in Abb. 3 der Fall war. Du kannst außerdem sehen, dass einzelne Haushalte ihre „Verteilungsplätze“ miteinander tauschen, nachdem der Staat die Verteilung beeinflusst hat. Erneut sei daran erinnert, dass es hier aber nur um eine Veranschaulichung konzeptioneller Grundlagen geht und keine realen Daten zugrundeliegen.

Der Text im Lernabschnitt „Grundbegriffe der Einkommensverteilung“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

H5P-Element „Von der funktionellen zur personellen Einkommensverteilung“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Course Presentation“ steht unter einer MIT-Lizenz.

„Lohnquote in Prozent des BIP, 2000 bis 2022 von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Das Video „Was ist Einkommen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Lizenz.