Friedrich August von Hayek, den du bereits kennengelernt hast, gilt als wichtiger Vertreter der „Österreichischen Schule”, einer weiteren Perspektive der Volkswirtschaftslehre. Was zeichnet diese Perspektive aus? Der Textauszug von der E-Learning-Plattform „Exploring Economics“ stellt die Perspektive vor.

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Exploring Economics ist eine frei zugängliche e-Learning-Plattform für Wirtschaftswissenschaften. Hier kannst Du die Pluralität der Wirtschaftstheorien, Methoden und Themen entdecken und studieren.

„Die österreichische Schule ist ein ökonomische Perspektive, deren Ursprung oft auf das Werk von Carl Menger zurückgeführt wird. […] Menger betonte insbesondere den Subjektivismus, das Nutzenprinzip und den Marginalismus in der ökonomischen Analyse […]. Spätere Vertrer*innen haben den Kanon der österreichischen Schule um eine Reihe von Konzepten erweitert.

Markt als Mechanismus zur Koordination und Informationsverarbeitung

Der Fokus von Forschungen im Sinne der Österreichischen Schule liegt auf der Untersuchung der wirtschaftlichen Koordination zwischen Individuen. Dieser Fokus ist in gewisser Weise schon im Werk von Menger vorhanden […]. Das Hauptaugenmerk von Menger lag aber wohl auf der Spannung zwischen menschlichen Bedürfnissen und […] knappen Gütern, was ihn näher zum in der Neoklassik prominenten Problem der effizienten Allokation [= Zuteilung der Güter] bringt […]. Von den […] [Vertreterinnen der Österreichischen Schule], die sich am Werk von Friedrich A. von Hayek orientieren, kann jedoch gesagt werden, dass die Untersuchung des Marktgleichgewichts bzw. der Effizienz des Marktergebnisses von untergeordneter Bedeutung ist […]. Die Marktwirtschaft wird als Koordinationsmechanismus verstanden, der es Individuen ermöglicht[,] ihre Informationen so zu nutzen, dass sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in einer Weise planen können, die mit den Plänen aller anderen […] [zusammenpassen]. Diese These […] geht daher mit einer positiven Einschätzung von Märkten einher. Weil jedoch gleichzeitig eingeräumt wird, dass diese Koordination nicht immer perfekt funktioniert, ist ein wesentliches Ziel der ökonomischen Analyse im Sinne der österreichischen Schule herauszufinden, warum diese Koordination manchmal zusammenbrechen kann […] Allgemein zielt die Forschung der Österreicher somit darauf ab, die Prozesse der Allokation von Ressourcen und der Koordination von Angebots- und Nachfrageplänen zu verstehen […].

Spontane Ordnung statt Gleichgewicht

Österreichische Ökonomen*innen verstehen den Markt als Marktprozess. Eine zentrale Annahme ist, dass die Koordination individueller Angebots- und Nachfragepläne niemals vollständig funktioniert, weil Pläne auf die Zukunft gerichtet sind und deshalb fundamentaler Unsicherheit unterliegen […]. Es wird daher angenommen, dass eine Situation mit Gleichgewichtspreis und -menge niemals erreicht werden kann. Zwar gibt es Marktmechanismen, durch die auf Märkten eine Tendenz entsteht, sich zu einem Gleichgewichtszustand hinzubewegen. Vertreter*Innen der Österreichischen Schule argumentieren jedoch, dass sich das ,Marktumfeld‘ ständig verändert (Präferenzen, Technologien, Wissen), sowie dass die zum Erreichen des Gleichgewichts notwendigen Informationen über alle Marktteilnehmer hinweg verstreut sind und niemals in einer Weise aggregiert [=zusammengeführt] werden können, die die Entstehung eines Gleichgewichts ermöglicht. Das Marktgleichgewicht ist für die Vertreter*innen der österreichischen Schule ein hypothetisches Konzept, […] [j]edoch stellt es für sie keine Beschreibung der Realität dar. […]

Die „Österreichische Schule“ versteht den Markt als einen Prozess, durch den die Pläne unzähliger Individuen aufeinander abgestimmt werden. Das Marktergebnis wird als „spontane Ordnung“ interpretiert. „Night market in Marrakech“ von vil.sandi, CC BY-ND 2.0, via flickr.com.

Ein weiteres Merkmal der Österreichischen Schule ist das von Hayek […] geprägte Konzept der spontanen Ordnung, die aus den dezentralisierten Planungen der Individuen entsteht. Das Marktergebnis, sowie andere soziale Institutionen wie Geld oder Sprache, werden als ‚Ergebnis menschlichen Handelns, jedoch nicht menschlichen Entwurfs‘ interpretiert […]. Diese Einschätzung verdeutlicht, dass die […] [Vertreter*innen der österreichischen Schule] der zentralen Planung, staatlichen Gestaltung und Vorhersage von wirtschaftlichen Aktivitäten keine oder nur geringe Leistungsfähigkeit zugestehen. Nach ihrer Einschätzung können weder das Marktergebnis insgesamt, noch das Verhalten der einzelnen Individuen, von einer zentralen Autorität vorhergesagt oder gesteuert werden […].

Der Markt als Entdeckungsverfahren, oder: Wie kommt man auf die Idee, einen Bleistift aus Graphit herzustellen?

Für das Funktionieren der dezentralisierten, individuellen Wirtschaftsplanung und die Koordination über Märkte ist es […] entscheidend, dass im Marktprozess neue Informationen entstehen. Dieser Sachverhalt wird durch die Charakterisierung des Marktes als Entdeckungsverfahren verdeutlicht. Der Markt erzeugt Informationen […] die es den Individuen ermöglichen, ihre (Zukunfts-)Pläne an veränderte Bedingungen anzupassen und mit Kontingenzen [= prinzipielle Offenheit und Wandelbarkeit] umzugehen […]. Mit Bezug auf die Arbeiten von Hayek ist noch anzumerken, dass der Markt hier als Wettbewerbsmarkt verstanden wird, da nur in einer Situation der Konkurrenz die genannten Informationen entdeckt werden können. Um zu demonstrieren, inwiefern der Markt als Entdeckungsverfahren verstanden werden kann, [kann das] Beispiel der Herstellung eines Bleistiftes [genutzt werden], welches eine komplexe Koordination arbeitsteiliger Aktivitäten erfordert.

Erst durch den Prozess des Markttauschs werden die Informationen über die Preise der Produktionsfaktoren (z. B. Graphit) entdeckt, die es den Produzenten*innen ermöglichen, darüber zu entscheiden, wie viel von welcher Kombination von Materialien im Herstellungsprozess verwendet werden sollen. Der Markt ,entdeckt‘ somit den Wert der Produktionsfaktoren sowie der anschließend hergestellten Güter und Dienstleistungen, wenn Markttausch betrieben wird. In den Marktpreisen werden Informationen verschiedener Markteilnehmer*innen [zusammengefasst]. Beispielsweise muss der Hersteller eines Bleistifts nicht selbst wissen, wie Graphit abgebaut wird, um das Wissen derjenigen zu nutzen, die solche Bergbau-Kenntnisse besitzen. Das Wissen bleibt dezentralisiert, und dennoch werden die wirtschaftlichen Aktivitäten der Akteure so koordiniert, dass am Ende ein fertiger Bleistift entsteht. Von den Vertreter*innen der Österreichischen Schule wird die These vertreten, dass die Wirtschaftssubjekte ohne Marktpreise als Knappheitsindikatoren nur eine sehr begrenzte Fähigkeit haben, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu koordinieren, weil ihr Wissen den besagten dezentralisierten und impliziten bzw. stillschweigenden Charakter besitzt […].

Ein anderes Bild von Unternehmertum

In der Österreichischen Schule wird zudem zwischen Management und Entrepreneurship (d. h. Unternehmertum) unterschieden. Das Finden der optimalen Kombination von Inputs und deren optimaler Menge, um […] einen bestimmten Output [unter gegebenen Produktionsweisen und -bedingungen] möglichst effizient zu produzieren, ist die Management-Funktion der Unternehmen. […] Entrepreneurship ist hingegen das Entdecken neuer, bisher unentdeckter Profitmöglichkeiten. Dies geschieht durch die neue Kombination von Produktionsfaktoren, das Hinzufügen neuer Produktionsfaktoren oder die […] Veränderung des Outputs. Entrepreneurship verändert somit die […] [Produktionsweisen und –bedingungen].

Das Entrepreneurship-Konzept ist ein zentrales Element der Österreichischen Schule, weil die wohlfahrtssteigernden Effekte des Marktprozesses begründet werden. Im Gegensatz zur Neoklassik, die das Marktgleichgewicht auf einem Markt mit vollständiger Konkurrenz als pareto-optimalen Zustand identifiziert, bei dem niemand seine Wohlfahrt durch zusätzliche Tauschakte weiter steigern kann[,] ohne andere schlechter zu stellen, kann ein solcher wohlfahrtsoptimaler Zustand laut den Österreichern nie erreicht werden. Stattdessen wird von ihnen die These vertreten, dass es im Marktprozess kontinuierliche Wohlfahrtszuwächse durch unternehmerisches Handeln bzw. ,entrepreneurial innovation‘ gibt.

Geld und Zins

Ein weiterer wichtiger Punkt, der sich durch die Analyse der […] [Vertreter*innen der Österreichischen Schule] zieht ist der Fokus auf [die Rolle, die Geld in der Wirtschaft spielt]. Carl Menger startet[e] diese Tradition mit seiner Entwicklung einer (Waren-)Geldtheorie, die auf einer evolutionären Entwicklung von einer spontanen Ordnung von Individuen fußt und nicht etwa auf einer staatlichen Intervention […].

Eugen von Böhm-Bawerk hat in der Entwicklung seiner Theorie zu Kapital und Zins […] die heute weithin verwendete These aufgestellt, dass Güter der Gegenwart von Individuen höher bewertet werden als zukünftige Güter, womit er die Existenz des Zinses begründet. Die Wertschöpfung d. h. die Kapazität des Produzenten, mit dem geliehenen, als Kapitalgüter eingesetzten Mitteln, einen höheren Ertrag zu generieren und damit den Zins zu zahlen wird dann bei Böhm-Bawerk mit einer zeitlichen Verlängerung der Produktionsstufen erklärt. Diese zeitlich längere und technologisch anspruchsvollere Produktion ist erfolgreicher, da sie durch den Einsatz von Gütern in den Zwischenstufen einen höheren und qualitativ hochwertigeren Ertrag abwirft […].

H5P-Element „‚Exploring Economics‘: Steckbrief Österreichische Schule“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Politische Ausrichtung

Charakterisierungen der Österreichischen Schule, die die politische Dimension mit aufnehmen, ordnen die [Österreicher][…] oft in die [N]ähe des Liberalismus bzw. des Libertarismus ein und attestieren ihnen in Konsequenz eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Staat […]

Die theoretische Rechtfertigung von laissez-faire und marktorientierter Politik leitet sich aus dem Verständnis der österreichische Schule ab, dass der Markt Ressourcen effizient verteilen kann und das Koordinationsproblem lösen kann […]. Die Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen in den Markt rührt also daher, dass angenommen wird, dass eine technokratische Behörde, im Gegensatz zum Markt und dessen Preisen, niemals in der Lage sein wird, die Komplexität des ökonomischen Systems zu begreifen und die verstreuten Informationen der Marktteilnehmer entsprechend zu bündeln. […]

Folgt man dieser Analyse, so ist davon auszugehen, dass ökonomische Regulierungen aufgrund der wissenschaftlich nicht zu verstehenden Komplexität der Ökonomie auch zu unvorhergesehenen Konsequenzen führen. Wenn aber die Resultate der Intervention neue Probleme schaffen, so ein weiteres Argument der […] [Vertreter*innen der Österreichischen Schule,] dann verleitet dies die Regierung dazu, weitere Interventionen als Lösung zu suchen. Dadurch wird ein Teufelskreis angestoßen, in dem immer neue Interventionen die Wirtschaft langfristig in die Nähe einer Planwirtschaft bewegen […].“

Der Text „Österreichische Schule“ von Exploring-Economics-Team für exploring-economics.de ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Es wurden Kürzungen und leichte Überarbeitungen (ergänzte Wortbedeutungen in Klammer) am Originaltext vorgenommen.

H5P-Element: „‚Exploring Economics‘: Steckbrief Österreichische Schule“: Lizenzangaben zum Inhalt unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Accordion“ steht unter einer MIT-Lizenz.

Auf der Plattform Exploring Economics kannst du viele weitere Materialien entdecken, die sich mit der Österreichischen Schule befassen.