Im Auftakt des Kapitels haben wir gesehen, dass soziale Ungleichheit zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Problemen führen kann. Allerdings haben wir noch gar nicht so richtig geklärt, wie wir soziale Ungleichheit eigentlich definieren und welche Arten der Ungleichheit es sind, die uns im weiteren Verlauf des Kapitels besonders interessieren. Gehen wir also einen Schritt zurück und fragen uns: Was meint der Begriff „soziale Ungleichheit“? Und auf welche Dimensionen sozialer Ungleichheit werden wir uns im Weiteren besonders konzentrieren?

In modernen Gesellschaften unterscheiden sich Menschen in vielerlei Hinsicht voneinander. Doch nicht alle Unterschiede müssen uns interessieren, wenn es um soziale Ungleichheit gehen soll: Ob jemand zum Beispiel Fan von Borussia Dortmund oder von Schalke 04 ist, ist zumindest auf den ersten Blick kaum bedeutsam, wenn wir soziale Ungleichheit untersuchen wollen. Andererseits könnte es vielleicht ein Ausdruck von sozialer Ungleichheit sein, ob jemand sich für Fußball begeistert oder ein Fan der Sportart Polo ist?

Was meint also der Begriff „soziale Ungleichheit“? Und welche Aspekte sind bei einer Analyse der Ungleichheit besonders wichtig? Die Soziologin Monica Budowski führt dazu aus:

„Soziale Ungleichheit wird definiert als die systematisch ungleiche Verteilung beziehungsweise als der ungleiche Zugang zu gesellschaftlich wertgeschätzten materiellen und immateriellen Gütern. Die Systematik der Bevorteilung oder Benachteiligung und ihre relative Dauerhaftigkeit unterscheidet ‚soziale Ungleichheit‘ von zufälliger oder gelegentlicher Ungleichheit.

Das Konzept der sozialen Ungleichheit knüpft an die Idee der Gleichheit der Menschen aus der Aufklärung an und an die Vorstellung, dass die Sozialordnung nicht eine von Gott geschaffene oder natürliche, sondern eine von Menschen geschaffene und veränderbare ist. Es findet seinen Ausdruck in den 1948 formulierten Menschenrechten. Diese Gleichheit bezieht sich auf eine für alle Menschen formal gleiche Würde, einen gleichen Wert und gleiche Rechte: Menschen sind unterschiedlich und doch gleichartig.“

Ausschnitt aus der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 1789. Jean-Jacques-François Le Barbier, gemeinfrei.

„Traditionell wird zwischen zwei Perspektiven unterschieden: erstens der Chancenungleichheit, das heißt den ungleichen Möglichkeiten des Zugangs zu materiellen und nicht materiellen Gütern, und zweitens der Ergebnisungleichheit, also der ungleichen Verteilung dieser Güter.

Chancen- wie Ergebnisgleichheit unterliegen normativen Vorstellungen. So gelangen gemäß einer funktionalistischen Perspektive mit auf meritokratischen Prinzipien beruhendem Verteilungsmechanismus die ‚Personen mit den richtigen Kompetenzen‘ an die ‚richtigen sozialen Positionen‘. Die Konflikttheorie hingegen versteht solche Zuordnungs- und Verteilungsprozesse als gesellschaftliche Aushandlungen von knappen und wertgeschätzten Gütern, die auf Zugangsbarrieren für soziale Gruppen sowie Diskriminierung und Ausschluss beruhen.[…]“

Dimensionen sozialer Ungleichheit

Unter sozialer Ungleichheit kann man also einen systematisch ungleichen Zugang zu gesellschaftlich wertgeschätzten materiellen und immateriellen Gütern verstehen. Doch welche Eigenschaften oder Merkmale von Personen führen eigentlich zu ungleichen Zugängen bzw. worin finden diese ungleichen Zugänge ihren Ausdruck? Was sind also die verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit?

Um darüber einmal nachzudenken, kannst du die folgende Anwendung bearbeiten. Hier werden dir Lebensgeschichten von fiktiven Personen vorgestellt. Versuche, anhand der Kurzbeschreibungen der Personen (auch im Vergleich) aus deiner Sicht bedeutsame Dimensionen sozialer Ungleichheit herauszuarbeiten:

    • Welche Aspekte im Leben der Personen könnten einen bedeutsamen Unterschied im Hinblick auf den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen oder für die gesellschaftliche Teilhabe der vorgestellten Personen machen oder gemacht haben?
    • Lassen sich die verschiedenen Aspekte und Dimensionen sozialer Ungleichheit, die du finden kannst, sinnvoll sortieren/kategorisieren?

Trage deine Überlegungen in das Textfeld unterhalb der Abbildungen ein. Vergiss nicht, deine Notizen zu speichern, bevor du diese Seite verlässt, weil sie ansonsten gelöscht werden.

H5P-Element: „Dimensionen sozialer Ungleichheit“. Lizenzangaben zu den Texten und Abbildungen unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Vertikale und horizontale Ungleichheit

In einer bei Gesellschaftsforscher*innen verbreiteten Sichtweise kann zwischen vertikalen und horizontalen Ungleichheiten unterschieden werden. Dazu nochmal die Soziologin Budowski:

„Die vertikale soziale Ungleichheit beruht auf Bildung, Einkommen, Vermögen und der Stellung im Beruf und in der (bezahlten) Arbeitswelt. Horizontale Ungleichheiten bezeichnen Stratifizierungsmerkmale aufgrund sozialer Schließung und beruhen auf gesellschaftlich als relevant bewerteten sozialen Kategorisierungen und Grenzziehungen. Analytisch – aber nicht trennscharf – beziehen sich diese auf askriptive individuelle Merkmale wie das Geschlecht und das Alter oder kollektive Merkmale wie die ethnische, nationale oder religiöse Gruppenzugehörigkeit. Einige dieser Kategorien werden als weitgehend wähl- und veränderbar beurteilt. So ist es möglich, einen Lebensstil und kulturelle Präferenzen zu verändern. Andere Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Alter oder soziale und regionale Herkunft hingegen gelten als weitgehend stabil.

Soziale Positionen sind vertikal geschichtet und horizontal geordnet. Sie zeichnen sich durch den unterschiedlichen Zugang zu gesellschaftlich wertgeschätzten Gütern und durch die soziale Wertschätzung von geleisteten Tätigkeiten aus. Je nach Perspektive werden soziale Ungleichheiten dabei als ‚ungerechtfertigte‘ oder ‚gerechtfertigte Ungleichheiten‘ beurteilt.“

Die Verschränkung der Dimensionen …

Insgesamt muss hervorgehoben werden, dass zwischen den Dimensionen, die oben aufgezählt wurden (und die um weitere Aspekte wie zum Beispiel sexuelle Orientierung oder Gesundheit ergänzt werden könnten), zahlreiche Wechselwirkungen bestehen. Eine Analyse von Ungleichheit muss also immer im Blick haben, dass es schwierig ist, einzelne Dimensionen herauszulösen und isoliert zu betrachten. Andererseits kann es hilfreich sein, sich vorübergehend auf einzelne Ungleichheitsaspekte zu konzentrieren, um das komplexe Phänomen „Ungleichheit“ besser zu verstehen.

… und die Konzentration auf ökonomische Ungleichheit

Eine solche Konzentration werden wir im Weiteren vornehmen, wenn wir uns auf die Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen fokussieren. Dabei handelt es sich um die zentralen Aspekte einer wirtschaftlichen Ungleichheitsanalyse, die sich auf die monetären [= in Geldwerten messbaren] Aspekte konzentriert. Wir bezeichnen diese Art der Ungleichheit als ökonomische Ungleichheit, weil diese in der Sphäre der Wirtschaft verankert ist.

Das soll aber keineswegs bedeuten, dass die anderen Dimensionen von Ungleichheit weniger wichtig wären. Gleichwohl handelt es sich bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen vor dem Hintergrund von Vermarktlichung und Ökonomisierung heutzutage um enorm wichtige Aspekte von Ungleichheit.

Schließlich nehmen wir noch eine weitere Einschränkung vor: Unser Fokus liegt auf Ungleichheit innerhalb eines einzelnen Landes (insbesondere Deutschland) und nicht auf der Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern (internationale Ungleichheit). Gerade vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen und der globalen Klimakrise wäre eine Beschäftigung mit der Ungleichheit zwischen den Ländern bzw. eine Betrachtung der globalen Ungleichheiten ein äußerst wichtiges Thema. Dem müssen wir uns aber zu einem anderen Zeitpunkt widmen.

Der Text im Lernabschnitt „Um welche Ungleichheit(en) geht’s eigentlich?“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Er enthält gekennzeichnete Ausschnitte aus dem Text „Soziale Ungleichheit und Diversität“, in: SAGW Bulletin 1/2020 von Monica Budowski. Dieser Text ist ebenfalls lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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