Kapitel 4: Wie lassen sich internationale Herausforderungen bewältigen? Kontroversen jenseits des Nationalstaats

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Wirtschaft zunehmend global verflochten. In Europa haben sich die Staaten entschieden, eine gemeinsame Währung zu verwenden. Das bringt neue Herausforderungen mit sich: Europa wurde von der „Eurokrise“ erschüttert. Zudem sind immer wieder Konflikte und Herausforderungen rund um die internationalen Handelsbeziehungen aufgetreten. So wurde beispielsweise der zeitweise Zusammenbruch globaler Lieferketten in der Corona-Pandemie zum Problem. Wie können Herausforderungen bewältigt werden, die nicht an nationalen Grenzen halt machen?

Etwa zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Eine riesige, menschenleere Fläche – sollte man meinen. Andererseits ist hier ganz schön was los. Denn: Die Weltmeere stellen wohl die wichtigsten Verkehrswege des globalen Handels dar. Was auf ihnen so passiert, zeigt beispielhaft am Jahr 2012 die interaktive Animation unten. Jeder Punkt steht für den Weg eines Schiffes der globalen Handelsflotte in diesem Jahr. Die Animation zeigt, welche enormen Mengen an Containern und verschiedenen Gütern täglich transportiert werden – aber auch, wie hoch der Ausstoß an Treibhausgas durch die Handelsschifffahrt ist. Man erhält einen ersten Eindruck davon, welche Bedeutung der globale Handel mittlerweile hat. Er ist eines der wichtigsten (aber nicht das einzige) Merkmale der sogenannten Globalisierung.

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Der grenzüberschreitende Handel mit Waren und Dienstleistungen ist dabei in den vergangenen Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Doch wie ist diese Entwicklung verlaufen – und wie umfangreich ist der Außenhandel eigentlich? Was wird gehandelt? Und wie lässt sich das statistisch erfassen und beschreiben? Was hat es mit Außenhandelsquote, Handels- und Leistungsbilanz auf sich? Diese Fragen betrachten wir im Auftakt des Kapitels. Sich hier ein bisschen auszukennen ist sehr hilfreich, um sich mit den Kontroversen zu beschäftigen, die sich um den Außenhandel drehen.

Ein Geld, ein Markt, viele Länder: Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion

Besonders wichtig für den grenzüberschreitenden Handel war und ist in Europa die europäische Integration: Nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen entstand hier der Wunsch, dass sich eine solche Katastrophe nicht nochmal wiederholen sollte. Ein Schlüssel zur politischen Zusammenarbeit schien in einer wirtschaftlichen Integration zu liegen. So gab es zunächst die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), bevor die Europäische Union (EU) entstand, die heute mit einer Bevölkerung von knapp 450 Millionen Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 14,5 Billionen Euro einen großen Wirtschaftsraum bildet.

In vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik spielen europäische Institutionen heute eine wichtige Rolle. Besonders gilt das für die Geldpolitik. Denn: Mit der Einführung des Euros im Jahr 1999 verzichteten alle Länder, die sich in der Europäischen Währungsunion zusammengeschlossen haben, auf ihre nationalen Währungen wie etwa die Deutsche Mark, den französischen Franc, die italienische Lira oder die spanische Peseta. Diese Entscheidung bedeutete auch, dass die Nationalstaaten von seither keine eigene Geldpolitik mehr betreiben können. Sie haben diese Aufgabe an die Europäische Zentralbank (EZB) abgegeben.

„Der Euro ist ein neues Instrument zur Schaffung von Frieden und Stabilität.“

Jean-Claude Juncker, 2008

Die gemeinsame Währung soll nicht zuletzt den Handel innerhalb Europas erleichtern. Denn seit der Einführung des Euro müssen keine nationalen Währungen mehr gegeneinander getauscht werden, wenn Waren aus dem europäischen Ausland gekauft werden. Damit fällt auch die Unsicherheit darüber weg, wie sich der Preis einzelner Währungen, der so genannte Wechselkurs, über die Zeit verändert, dadurch Exporte und Importe schlagartig teurer oder günstiger und somit Kaufentscheidungen komplizierter und schlechter planbar macht. Gleichzeitig können neue Probleme entstehen, wenn Nationalstaaten sich in einer Währungsunion zusammenschließen und auf eine einheitliche Geldpolitik festlegen, aber andere Bereiche der Wirtschaftspolitik in nationaler Verantwortung belassen.

Manche sehen daher in der Übertragung der Geldpolitik an die EZB einen Verlust an nationalstaatlicher (wirtschaftspolitischer) Souveränität, andere befürworten es, wenn die Geldpolitik dem Zugriff der Regierungen entzogen ist und von einer unabhängigen Zentralbank kontrolliert wird.

„Der Euro ist der Triumph eines Symbols über die Substanz.“

Paul Krugman, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, 2001

Daher fragen wir im ersten Schwerpunkt des Kapitels:

  • Warum, wie und wann ist die Währungsunion eigentlich entstanden?
  • Was sind die Aufgaben einer Zentralbank ganz allgemein und der EZB im Besonderen?
  • Was hat es mit dem Ziel der Preisniveaustabilität auf sich, welches in Deutschland im magischen Viereck verankert ist? Wie wird das Preisniveau gemessen, warum ist seine Stabilität wichtig, warum entstehen Inflation oder Deflation?
  • Wie versucht die EZB, ihre Ziele zu erreichen? Entstehen hier Zielkonflikte mit anderen wirtschaftspolitischen Zielen? Vor welchen besonderen Schwierigkeiten steht die EZB durch die Tatsache, dass sie Geldpolitik für viele verschiedene Länder machen muss?
  • Wie sollte sich die Europäische Währungsunion in Zukunft weiterentwickeln?

Der Text „Kapitel 4: Wie lassen sich internationale Herausforderungen bewältigen? Kontroversen jenseits des Nationalstaats“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY 4.0.

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2024-04-16T11:49:02+00:00

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