In den vorherigen Texten sind eine Reihe von Fachausdrücken gefallen, z. B. „Tarifverlauf“, „Grundfreibetrag“ oder „Progressionszone“. Leider gibt es im Bereich der Steuerpolitik viele solcher Begriffe, die es sehr schwer machen, bei steuerpolitischen Diskussionen mitzureden. Dieser und die folgenden Lernabschnitte sollen dir dabei helfen, an solchen Debatten leichter teilnehmen zu können. Im ersten Teil schauen wir uns unterschiedliche Sichtweisen darauf an, warum es Steuern überhaupt gibt, welche wichtigsten Steuerarten unterschieden werden können und von welchen Prinzipien die Besteuerung geprägt sein soll.

Wenn Menschen ihr Zusammenleben in Gemeinwesen (z. B. Städten oder Staaten) organisieren, brauchen diese Gemeinwesen Ressourcen, um gemeinschaftliche Aufgaben wahrzunehmen. Welche Aufgaben das sein sollen, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Manche plädieren dafür, dass sich das Gemeinwesen auf sehr wenige Bereiche beschränken sollte (z. B. Verteidigung des Territoriums, Sicherung des Privateigentums). Viele möchten aber, dass ein Gemeinwesen auch weitergehende Zuständigkeiten übernehmen sollte. Dazu gehört zum Beispiel, seine Mitglieder gegenüber Lebensrisiken abzusichern oder die Umwelt zu schützen. Steuern spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle.

Welche Aufgaben hat ein Staat?

Der Wirtschaftsforscher und Steuerexperte Stefan Bach schildert, welche unterschiedliche Steuer-Vorstellungen Vertreterinnen verschiedener wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Denkschulen haben:

„Grundsätzlich kann […] zwischen dem neoliberalen Modell des schlanken ,Nachtwächterstaates‘ und dem linksliberalen und sozialdemokratischen Modell des Interventions- und Wohlfahrtsstaates unterschieden werden.

Zentrale Leitbilder des Neoliberalismus sind Freiheit und Marktwirtschaft, betont werden Subsidiarität, Eigenverantwortung und Chancengleichheit. Marktwirtschaft und Kapitalismus werden positiv gesehen und gelten als inhärent stabil. Der Staat soll sich auf ordnungspolitische Rahmensetzungen und die Bereitstellung unerlässlicher öffentlicher Güter beschränken. Kritisch gesehen werden prozessorientierte staatliche Interventionen der Struktur- und Konjunkturpolitik, umfassende Daseinsvorsorge durch öffentliche Leistungen und Regulierungen sowie eine weitreichende Umverteilung zur Herstellung von Ergebnisgleichheit. Der Staat wird meist als zu groß und zu verschwenderisch wahrgenommen, hohe Steuern als Belastung der Wirtschaftskraft gesehen. Die Einkommens- und Vermögenssteuern gelten als gestaltungsanfällig und leistungsfeindlich, vor allem bei hohen Steuersätzen. Bevorzugt werden niedrigere und proportionale ,Flatrate-Steuertarife‘ mit breiter Bemessungsgrundlage oder indirekte Steuern auf Konsum, wie die Mehrwertsteuer.

Das Modell des Interventions- und Wohlfahrtsstaates geht von der Instabilität der kapitalistischen Wirtschaft und deren Tendenz zur Ungleichheit bei den Lebensverhältnissen sowie bei der Einkommens- und Vermögensverteilung aus. Das soll mit aktivem Eingreifen des Staates in die Wirtschaft durch eine keynesianische Steuerung der Konjunktur, eine breite Daseinsvorsorge und soziale Sicherung für die Bürgerinnen und Bürger korrigiert werden. Ausreichende und gerechte Steuern sind zentrale Pfeiler einer solchen Politik. Bevorzugt werden progressive Einkommens- und Vermögenssteuern, das heißt die Durchschnittsbelastung soll bei zunehmender Bemessungsgrundlage steigen, während indirekte Steuern eine Nebenrolle spielen sollen, da sie regressiv wirken, also vor allem die niedrigen Einkommen belasten, die proportional einen besonders großen Teil ihres Geldes ausgeben müssen. Effizienzverluste durch Besteuerung werden vernachlässigt oder in Kauf genommen und Steuervermeidungsmöglichkeiten bekämpft.”

Je nachdem, wie umfassend die staatlichen Aufgaben ausfallen sollen, muss also auch die Ausstattung mit Ressourcen anders aussehen. Besonders kniffelig ist dabei, dass viele der Güter und Dienstleistungen, die ein Staat oder eine Gemeinde bereitstellt, so charakterisiert sind, dass auch jene davon profitieren, die nicht bereit sind, sich an ihrer Erstellung zu beteiligen. Würde man hier nur auf freiwillige Beiträge setzen, könnte die jeweilige Aufgabe möglicherweise gar nicht erfüllt werden. Ein Beispiel wäre, dass eine Gemeinde einen Park anlegt, der das Stadtklima verbessert: Von dieser Klimaverbesserung profitieren alle – auch jene, die keinen freiwilligen Beitrag leisten würden.

Leistung ohne Gegenleistung

Steuern sind also eine Möglichkeit, mit denen sich ein Gemeinwesen Ressourcen zur Erfüllung seiner Aufgaben beschaffen kann (siehe den Abschnitt unten „Eine andere Perspektive“ für eine konträre Sichtweise auf diese Thematik). Bei Steuern handelt es sich um für die Bürgerinnen verpflichtende Abgaben, bei denen – anders als bei anderen Zahlungen – kein unmittelbarer Anspruch auf Gegenleistungen besteht. Das heißt, die Zahlung einer Steuer berechtigt nicht, dafür unmittelbar etwas vom Staat ,zu bekomme‘:

„Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft […]“

Abgabenordnung (AO) § 3 Steuern, steuerliche Nebenleistungen

Worauf Steuern gezahlt werden müssen (z. B. auf Einkommen, auf Vermögen, auf Umsätze, auf Hundebesitz, auf Schaumweinkonsum …), wie hoch diese sein sollten und welche Effekte Steuern auf Verteilung und Produktion haben, ist wird in politischen und wissenschaftlichen Kontroversen ausgehandelt.

Video „Warum zahlen wir Steuern? – Finanzisch für Anfängerinnen und Anfänger“ von finanzministeriumTV. Das Video steht nicht unter einer offenen Lizenz und wird hier von youtube.com eingebettet.

Eine etwas andere Perspektive: Braucht der Staat erst Steuern, um seine Aufgaben zu erfüllen?

Die bisherige Darstellung, dass der Staat sich mit Hilfe der Steuern bei seinen Bürgerinnen die Ressourcen erst besorgen muss, die er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen, ist weit verbreitet. Sie wird gegenwärtige aber von einer wissenschaftlichen Theorie in Frage gestellt, die unter dem Namen „Moderne Geldtheorie (Modern Monetary Theory (MMT))“ bekannt ist und deren Wurzeln u. a. in der postkeynesianischen Perspektive auf die Wirtschaft (siehe Kapitel 2) liegen.

Ein zentraler Ausgangspunkt dieser Modernen Geldtheorie ist, dass sie darauf hinweist, dass monetär souveräne Staaten ihr eigenes Geld schöpfen, also „aus dem Nichts“ erzeugen. Deswegen können sie auch weder in ihrer eigenen Währung Pleite gehen, noch müssen sie sich in ihrer eigenen Währung verschulden oder Steuern erheben, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Denn schließlich können sie sich die finanziellen Mittel, die sie brauchen, selbst zur Verfügung stellen.

Steuern haben in dieser Theorie einen anderen Sinn, als jenen, dass der Staat sich durch sie erst Ressourcen beschaffen muss: Steuern sind es, die dem Geld seinen Wert verleihen und damit eine Währung etablieren, die von allen Haushalten und Unternehmen akzeptiert wird und so komplexe marktwirtschaftlichen Prozesse ermöglicht. Dadurch, dass der Staat die Begleichung der Steuerschuld nur in dem von ihm selbst geschaffenen Geld akzeptiert (und man in Deutschland seine Steuern weder in Gold, Muscheln oder Bitcoin bezahlen kann), sorgt er dafür, dass letztendlich alle, die am marktwirtschaftlichen Verkehr teilnehmen möchten, dieses staatliche Geld brauchen. Steuern verleihen somit der staatlichen Währung Akzeptanz. Sie stellen eine Art „Steuergutschrift“ dar, mit der ausstehende Steuerschulden beglichen werden können. Der Staat zieht mit Steuern letztlich also wieder ein, was er einmal selbst ausgegeben hat.

Einem monetär souveränen Staat sind aus dieser Perspektive keine Geld-Grenzen gesetzt, wenn er ein Ziel erreichen will. Er kann soviel Geld ausgeben, wie er will, weil er das Geld ja selbst herstellt, und es sich nicht erst durch Steuern oder Verschuldung besorgen muss.

Aber selbstverständlich gelten auch für den Staat die Grenzen der volkswirtschaftlichen Kapazitäten (d. h. die begrenzte Anzahl an vorhandenen (spezielle ausgebildeten) Arbeitskräften, Maschinen usw.). Würde der Staat durch übermäßige Ausgaben oder eine zu geringe Besteuerung für eine Überbeanspruchung dieser Kapazitäten sorgen, könnte das zu Inflation führen – mit den problematischen Begleiterscheinungen, die damit einhergehen. Besteuerung dient also auch dem Ziel, eine Überbeanspruchung der volkswirtschaftlichen Kapazitäten zu vermeiden. Allerdings sind diese Kapazitätsgrenzen aus Sicht der modernen Geldtheorie flexibler und geben dem Staat mehr Gestaltungsspielraum, als es z. B. eine haushaltspolitische Regel wie die „Schwarze Null“ (also ein Staatshaushalt ohne Neuverschuldung) zulässt.

Folgt man den Prämissen der Theorie (die wir hier nur stark gekürzt wiedergeben) erweitert sich der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum des Staates. So ist beispielsweise eine staatliche Sparpolitik in Krisenzeiten („Austeritätspolitik“), wie sie einigen Ländern Europas in der sog. Eurokrise auferlegt wurde, nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv. Und auch für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder die Transformation zu einer klimaunschädlichen Wirtschaft bieten sich neue Möglichkeiten.

Auch aus Sicht der modernen Geldtheorie kann das Steuersystem dazu dienen, die ökonomische Ungleichheit zu reduzieren. In diesem Punkt gibt es keinen grundlegenden Unterschied zur oben präsentierten Sichtweise. Aus Sicht der Vertreterinnen der Modernen Geldtheorie müsse man aber darauf achten, nicht dem Irrglauben zu verfallen, dass Steuern zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben nötig seien, weil dies die ungleichen Machtpositionen zwischen Reichen und Armen verfestigen könne. So schreibt beispielsweise der Wirtschaftsforscher Michael Paetz:

„[Steuern] können eine gesellschaftlich unerwünschte Einkommens- und Vermögensverteilung korrigieren, indem hohe Einkommen und Vermögen überproportional besteuert werden. Wer sich hierfür stark macht, sollte seine Steuererhöhungswünsche aber nicht mit Finanzierungsmotiven begründen. Hierdurch erhalten die Vermögenden nämlich eine Machtposition, die ihnen nicht gebührt. Wer staatliche Ausgaben mit der Besteuerung von Vermögenden verknüpft, wird immer wieder hören müssen, dass der Staat mit dem Geld seiner Steuerzahler:innen sorgsamer umgehen müsse. Der Staat ist jedoch nicht darauf angewiesen, die eigenen Steuergutschriften von seinen Bürger:innen einzusammeln, da er diese über seine Zentralbank unbegrenzt selber herstellen kann.“

Aus: Michael Paetz: Modern Monetary Theory. Rückkehr des gesamtwirtschaftlichen Denkens, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.).: Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19/2022, Bonn.

Prinzipien der Besteuerung

Unabhängig von der theoretischen Grundlage, die man für die Erhebung von Steuern anführt, gelten in Deutschland ein paar grundlegende Prinzipien bei der Besteuerung, von denen für uns hier vor allem das Leistungsfähigkeitsprinzip wichtig ist. Dieses gilt in zweierlei Hinsicht:

  • Das Prinzip der vertikalen Leistungsfähigkeit besagt, dass diejenigen, die leistungsfähiger sind, auch eine größere (Steuer-)last schultern müssen. Also bezogen auf die Einkommenshöhe: Wer mehr Einkommen hat, muss auch mehr Steuern zahlen.
  • Das Prinzip der horizontalen Leistungsfähigkeit besagt, dass eine gleiche Leistungsfähigkeit auch eine gleiche Besteuerung nach sich ziehen muss. So dürfen bei der Einkommensteuer z. B. nicht bestimmte Einkommensarten gegenüber anderen bevorzugt werden. Auch muss eine möglichst umfassende Erfassung der Leistungsfähigkeit erfolgen.

Inwieweit diese Prinzipien im Steuersystem insgesamt oder in seinen einzelnen Bestandteilen umgesetzt sind, auch darüber wird immer wieder politisch, juristisch oder wissenschaftlich gestritten.

Welche Steuerarten gibt es in Deutschland?

In der Bundesrepublik gibt es eine Reihe von Steuern. Hier werden nur die wichtigsten genannt. Es sei nochmal daran erinnert, dass wir den großen Bereich der Sozialbeiträge und anderer Abgaben an dieser Stelle außen vor lassen.

Zusammensetzung des Steueraufkommens (Bund, Länder, Gemeinden), 2021 (in Prozent)

Zusammensetzung des Steueraufkommens (Bund, Länder, Gemeinden), 2021 (in Prozent) von Julian Becker, CC BY 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Quelle der Daten: Sozialpolitik-aktuell.de/Statistisches Bundesamt (2022), Fachserie 14, Reihe 4, Steuerhaushalt. Das gesamte Steueraufkommen im Jahr 2021 von Bund, Ländern und Gemeinden lag bei rund 833,2 Mrd. €.

Der Lernabschnitt „Die progressive Einkommensteuer: Anfänge und neuere Entwicklungen“ enthält einen Auszug aus dem Text: „Permanente Steuerreform. Steuerpolitische Leitbilder und Entwicklungstrends der vergangenen Jahrzehnte“ von Stefan Bach für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de. Dieser ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 International Lizenz. Kürzungen mit freundlicher Erlaubnis der bpb und des Autors.

Der Text im Lernabschnitt„Warum gibt es Steuern und welche Steuerarten kann man unterscheiden?“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Bitte beachten Sie, dass diese Lizenz nicht für die gekennzeichneten Textausschnitte anderer Autorinnen und Autoren gilt.

Das Video „Warum zahlen wir Steuern? – Finanzisch für Anfängerinnen und Anfänger“ von finanzministeriumTV. Das Video steht nicht unter einer offenen Lizenz und wird hier von youtube.com eingebettet.

Das Diagramm „Zusammensetzung des Steueraufkommens (Bund, Länder, Gemeinden), 2021 (in Prozent)“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: Sozialpolitik-aktuell.de/Statistisches Bundesamt (2022), Fachserie 14, Reihe 4, Steuerhaushalt.

Einen Einstiegstext in die moderne Geldtheorie findest du zum Beispiel hier.

Einen ausführlicheren Kurs zu diesem Thema findest du hier.