Du weißt jetzt, welche unterschiedlichen Arten es gibt, auf das in die Wanne einfließende Wasser – das Einkommen – zu schauen. Doch was ist eigentlich mit dem Wasser in der Wanne – dem Vermögen? Das gerät manchmal aus dem Blick, obwohl die Wasserstände in den Badewannen erheblich ungleicher verteilt sind als die zufließenden Einkommen.

#VGR

Was ist Vermögen? Tippt man den Begriff ins Online-Wörterbuch Wiktionary ein, landet man zunächst beim Verb „vermögen“, was so viel wie „in der Lage sein, etwas zu tun“ bedeutet. Diese Bedeutung gibt einen ersten Einblick in die Funktion von Vermögen innerhalb unserer Gesellschaft – nämlich, dass es die Vermögensbesitzerin in die Lage versetzt, Dinge zu tun, die ohne Vermögen nicht möglich wären. Wir werden weiter unten darauf zurückkommen. Als ökonomische Definition hilft das aber erstmal kaum weiter.

Schauen wir in das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, einen Bestseller zum Thema (Vermögens)Ungleichheit des Wirtschaftsforschers Thomas Piketty, so lesen wir dort:

„Wir werden das Nationalvermögen‘ oder das ‚nationale Kapital‘ als den (in Marktpreisen berechneten) Gesamtwert all dessen definieren, was die Inländer und die öffentliche Hand eines Landes zu einem bestimmten Zeitpunkt besitzen und was auf einem Markt getauscht werden kann. Es handelt sich um die Summe der nicht-finanziellen Aktiva (Wohnungen, Grundstücke, Geschäfte, Gebäude, Maschinen, Ausrüstungen, Patente und andere gewerbliche Aktiva in direktem Besitz) und der finanziellen Aktiva (Bankguthaben, Sparpläne, Obligationen, Aktien und andere Geschäftsanteile, alle Formen von Kapitalanlagen, Lebensversicherungsverträge, Pensionsfonds usw.) verringert um Verbindlichkeiten (das heißt um sämtliche Schulden).“

Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014.

Diese Definition (die genau genommen das Nettovermögen meint) gibt nicht nur viele Beispiele für unterschiedliche Vermögensarten, sondern verweist mit der Verwendung des Begriffes „Aktiva“ darauf, dass man zu einer Betrachtung von Vermögen am besten die Perspektive einer Bilanz einnimmt. Diese Perspektive kennen wir schon aus unserer Beschäftigung mit Bankbilanzen aus Kapitel 3.

Eine Bilanzperspektive

Nochmal zur Erinnerung: Auf der linken Seite einer Bilanz werden die Aktiva festgehalten, d. h. gewissermaßen die Guthaben oder Ansprüche, über die ein Unternehmen oder ein Haushalt verfügt. Wichtig ist, dass alles, was in einer Vermögensbilanz festgehalten wird,

  1.  in Geld bewertbar ist,
  2. übertragbar ist (d. h. an andere weitergegeben werden kann) und
  3. belehnbar ist (d. h. als Sicherheit für einen Kredit fungieren kann)

Wie Thomas Piketty können wir dabei zwischen Finanzvermögen („finanzielle Aktiva“) und Sachvermögen („nicht-finanzielle Aktiva“) unterscheiden.

Die Abbildung unten gibt einen Überblick darüber, was alles unter diese beiden Arten von Vermögen fällt. Die Auflistung ist nicht erschöpfend und nicht bei allen Vermögensgegenständen herrscht Einigkeit, ob diese hier enthalten sein sollten. So gibt es beispielsweise bei Forscherinnen Uneinigkeit darüber, ob Autos, langlebige Konsumgegenstände oder Schmuck in die Bilanz aufgenommen werden sollten. Wie schon bei anderen Definitionen, die wir uns im Laufe dieses Buches angeschaut haben, spielen auch hier verschiedene Überlegungen eine Rolle und es gibt nicht „die eine“ richtige Antwort.

„Private Vermögensbilanz“ von Julian Becker,  CC BY 4.0.

Auf der rechten Seite der Bilanz finden wir wiederum die Passiva, d. h. die Ansprüche, die andere an uns haben. Hierzu gehören verschiedene Arten von Krediten, die man aufnehmen kann, beispielsweise um eine Immobilie zu finanzieren oder einen Konsumwunsch zu erfüllen.

Da wie bei einer Bankbilanz beide Seiten gleich groß sein müssen, wird auf Passivseite auch das Nettovermögen festgehalten, dessen Höhe somit durch die Differenz der Vermögenswerte auf der Aktivseite abzüglich der Schulden ermittelt werden kann.

Sachvermögen + Finanzvermögen = Schulden + Nettovermögen

Sachvermögen + Finanzvermögen – Schulden = Nettovermögen

Was alles nicht zum Vermögen gehört

Damit haben wir geklärt, was alles aus einer engeren ökonomischen Perspektive als Vermögen verstanden wird. Manchmal wird dafür auch der Begriff des Kapitals verwendet. Thomas Piketty, von dem oben schon einmal die Rede war, benutzt diese Begriffe beispielsweise synonym. Das ist allerdings nicht unumstritten: Wirtschaftsforscherinnen, die der Perspektive der marxistischen politischen Ökonomie nahestehen, meinen beispielsweise etwas anderes, wenn sie von Kapital sprechen.

Manchmal (siehe Abbildung unten) wird die Perspektive auf das Vermögen auch um Aspekte wie wirtschaftlich verwertbare Fähigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensweisen („Humankapital“/„Humanvermögen“), soziale Beziehungen („Sozialkapital“) oder die natürlichen Ressourcen, die der Wirtschaft zugute kommen („Umweltkapital“) erweitert. Alle diese Kapital- bzw. Vermögensarten haben allerdings das Problem, dass ihr Geldwert schwer zu erfassen ist und sie teils kaum einzelnen Haushalten zugeordnet werden können. Außerdem sind sie oft nicht belehn- und übertragbar. Deshalb lassen wir diese Vermögensarten bei der weiteren Betrachtung außen vor.

Sind Rentenansprüche Vermögen?

Einen besonderen Streitpunkt stellen die Ansprüche an das staatliche Rentensystem dar. Wenn in der Öffentlichkeit über die Höhe der Vermögensungleichheit gestritten wird, hört man das Argument, dass die Vermögensungleichheit deutlich niedriger ausfallen würde, wenn die Ansprüche der Arbeitnehmerinnen an die staatliche Rentenversicherung ebenfalls als Vermögen gezählt würden. Denn während Selbstständige Vermögen u. a. aufbauen, um eine Rücklage für das Alter zu haben, ist das für Arbeitnehmerinnen nur in einem geringeren Maße nötig. Kritikerinnen dieser Einbeziehung der Rentenansprüche argumentieren, dass zukünftige Renten nicht belehnbar oder übertragbar sind und – anders als Vermögen – beispielsweise auch nicht zur Politikbeeinflussung eingesetzt werden können oder helfen, den sozialen Status zu verbessern (s. u.).

Die Vermögensdefinition, die wir nun kennengelernt haben, mag den Eindruck erwecken, dass es ein einfaches Unterfangen sei, die Verteilung der Vermögen innerhalb einer Gesellschaft zu erfassen und zu beschreiben. Dies ist aber leider nicht der Fall. Ganz im Gegenteil sind die Forscherinnen hier mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert:

  • Für die Ermittlung der Vermögensverteilung sind Befragungsdaten vonnöten. Befragt werden aber in der Regel natürlich nicht alle Haushalte, sondern es wird eine möglichst repräsentative Stichprobe gezogen. Da das Vermögen aber ziemlich stark bei den reichen Haushalten konzentriert ist (wir werden uns das später noch ansehen) verzerrt es die Daten, dass die sehr wenigen extrem reichen Haushalte meist nicht Teil der Stichprobe sind. Und selbst wenn sie es wären: Die Teilnahme an solchen Umfragen ist in der Regel freiwillig – und extrem reiche Haushalte geben eher ungern Auskunft über ihre gesamten Vermögensverhältnisse.
  • Außerdem ist es bei vielen Vermögensarten schwierig, ihren „korrekten“ Geldwert zu ermitteln. Beim Guthaben auf einem Girokonto ist das leicht, aber beispielsweise die Bewertung von Immobilien, Formen geistigen Eigentums, Betriebsvermögen und auch Bestandteilen des Finanzvermögens mit sehr volatilen Werten ist mit Schwierigkeiten behaftet.
  • Last but not least hat auch der deutsche Staat einen Anteil daran, dass die Ermittlung der Vermögensverteilung schwierig ist. So wird in Deutschland seit dem Jahr 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben (wir gehen darauf später ein). Dies hat neben ausbleibenden Steuereinnahmen zur Folge, dass der Staat keine Informationen mehr über die Höhe des Privatvermögens ermittelt, die ansonsten von Forscherinnen genutzt werden könnten.

Video „Instrumente zur Messung der Vermögen“ von Teach Economy . Das Video steht nicht unter einer offenen Lizenz und wird hier von vimeo.com eingebettet.

Funktionen des Vermögens

Wir wissen jetzt, wie Vermögen in ökonomischer Hinsicht definiert werden kann und welche Probleme mit seiner Messung verbunden sind. Aber wozu ist Vermögen eigentlich da? Welche Funktionen erfüllt es? Eingangs haben wir gesehen, dass das Verb „vermögen“ bedeutet, „zu etwas in die Lage versetzt zu werden“. In welche Lage versetzt uns Vermögen – jetzt mit großem V geschrieben? Dies wird in der folgenden Abbildung thematisiert.

Fessler, P. und Schürz, M.: „Vermögensfunktionen“, CC BY-ND 4.0, mit Dank an die Urheber. Bitte achte darauf, bei Weiterverwendung der Grafik die Literaturangaben zu übernehmen.

Die Pyramide der Vermögensfunktionen zeigt, dass es verschiedene Vermögensfunktionen gibt und dass sich diese mit der Zunahme des Vermögens (von unten nach oben) in ihrem Charakter verändern. Eine rein mengenmäßige Analyse der Vermögenshöhe wird diesem qualitativen Wandel der Vermögensfunktionen nicht gerecht: Während kleine Vermögen vor allem die Funktion erfüllen, eine Absicherung gegenüber den Wechselfällen des Lebens darzustellen (plötzliche Krankheit, Arbeitslosigkeit oder eine kaputte Waschmaschine), vervielfältigen sich die Vermögensfunktionen mit dem Anwachsen des Kapitals. Erst an der Spitze der Pyramide ist mit dem Vermögen nennenswerte politische und wirtschaftliche Macht verbunden. Die untergeordneten Funktionen verlieren hingegen an Bedeutung: Wer ein hohes Einkommen durch sein eigenes Kapital erzielt, muss keinen „Notgroschen“ für ein kaputtes Auto zurücklegen.

Dabei sollte die Pyramide nicht derart missverstanden werden, dass nicht auch mit kleinen Vermögen ein Statusgewinn einhergehen kann. Umgeben von Mietshaussiedlungen kann auch ein kleines Eigenheim einen höheren sozialen Status verleihen. Und natürlich können auch kleine Vermögen vererbt werden („Weitergabe“) und zur Erzielung eines kleinen Einkommens dienen. Im Großen und Ganzen werden diese Vermögensfunktionen aber erst ab einer gewissen Höhe wirklich relevant. Martin Schürz, Co-Autor der obigen Grafik, fasst ihre Aussage knapp wie folgt zusammen:

„Nur in der Welt der Überreichen spielen Macht und Weitergabe eine entscheidende Rolle. In der Mitte geht es um Immobilieneigentum und bei den Armen um Ressourcen für Notfälle.”

Video „Was ist Vermögen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie, CC BY 3.0. Das Video wird von youtube.com eingebettet.

Der Text im Lernabschnitt „Grundbegriffe der Verteilung des Vermögens“ von Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Dies bezieht sich nicht auf das Zitat von Thomas Piketty.

„Private Vermögensbilanz“ Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

„Schematische Übersicht zu Vermögenskomponenten “ von Bundeszentrale für politische Bildung, 2021, bpb.de, ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland.

Das Video „Instrumente zur Messung der Vermögen“ von Teach Economy steht nicht unter einer offenen Lizenz und wird hier von vimeo.com eingebettet.

„Vermögensfunktionen“ von Fessler, P. und Schürz, M. ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitung 4.0 Deutschland Lizenz. Bitte achte darauf, bei Weiterverwendung der Grafik die Literaturangaben zu übernehmen..

Das Video „Was ist Vermögen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Lizenz.