Bearbeiteter Ausschnitt aus „Karl, das Velo“ von Manuel, CC BY-SA 2.0, via flickr.com.

Neben den politischen und sozialen Auswirkungen ökonomischer Ungleichheit wird auch über die wirtschaftlichen Folgen diskutiert. Während in der Vergangenheit oft davon ausgegangen wurde, dass Ungleichheit ein Wachstumsmotor sei, mehren sich inzwischen die Stimmen, die Ungleichheit eher als Wachstumsbremse und Krisenauslöser sehen.

„Wie sich die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen volkswirtschaftlich auswirkt, ist umstritten. Der Sachverständigenrat Wirtschaft hält die Entwicklung in Deutschland beispielsweise für unproblematisch: ‚Ein Mindestmaß an Ungleichheit ist für eine leistungsfähige Volkswirtschaft unerlässlich, um die Teilhabe möglichst vieler Personen zu sichern und wirtschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen‘. Diese traditionelle Argumentation geht davon aus, dass ein hohes Maß an sozialstaatlicher Umverteilung (Stichwort: Steuerbelastung) zu negativen Leistungs- und Innovationsanreizen führe – mit der Folge niedriger Zuwächse von Produktivität und Wachstum. Ungleichheit hingegen wirke als Motor für Leistungs- und Innovationsanreize. Mehr noch: Wenn über diesen Mechanismus die Einkommen am oberen Ende der Skala zunehmen, sei das für das untere Ende der Skala kein Problem, denn infolge der Wachstumszuwächse sickern die Einkommenszuwächse langsam auch nach unten durch ([d]as so genannte ‚Trickle down Paradigma‘). Oder pointiert formuliert: Wenn die leistungsstarken Pferde mehr zu fressen kriegen, haben auch die Spatzen etwas davon, da sie von den Pferdeäpfeln profitieren.

Internationale Organisationen – wie der Internationale Währungsfonds [IWF] und die OECD (2015) – sehen dagegen die zunehmende soziale Ungleichheit als eine zentrale ökonomische Herausforderung an. Denn − so die Analysen – die aufklaffende Schere schadet einer nachhaltigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, im nationalen und internationalen Maßstab. Unter dem Eindruck der Fakten schätzt die OECD […] dass in Deutschland ohne den Anstieg der Ungleichheit zwischen 1985 und 2005 der Zuwachs des Sozialproduktes im Zeitraum zwischen 1990 und 2010 um 6 Prozent höher gelegen hätte. Für 19 OECD-Länder wird von einem durch die gestiegene Ungleichverteilung eingetretenen Wachstumsverlust um 4,7 Prozentpunkte gesprochen. Ausschlaggebend dafür sei, dass die unteren 40 Prozent in der Einkommensverteilung immer weniger in Bildung investieren (können). Die Ursachen der wachsenden Ungleichheit sieht sie zusammen mit dem IWF insbesondere in der von ihr selbst in den 1990erJahren empfohlenen Schwächung von Arbeitsmarktinstitutionen und dabei insbesondere der abnehmenden Tarifbindung. Der IWF zeigt darüber hinaus in einer Studie, dass ein Anstieg der Einkommen des oberen Fünftels der Einkommensskala zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums führt, während ein Anstieg der Einkommen des unteren Einkommensfünftels mehr Wachstum zur Folge hat.

Auf diese internationalen Studien über die negativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der wachsenden Spreizung in der Einkommensverteilung hat der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2017/2018 (S. 414) kritisch reagiert. Unbestritten richtig ist dabei seine Feststellung, dass die verschiedenen vorliegenden Befunde aus Untersuchungen zum Zusammenhang von (veränderter) Einkommensverteilung und Wachstum hochgradig von verschiedenen Annahmen, der wirtschaftlichen Situation eines Landes bzw. dem betrachteten Zeitraum − und den verwendeten Daten! − abhängig sind. Seine Kritik, dass die einzelnen Befunde nicht aussagefähig seien, greift jedoch zu kurz.

Einen detaillierteren Überblick über solche Studien, unter Offenlegung von deren Annahmen und Methoden sowie zentralen Befunden, liefern dagegen [die Wissenschaftler] Behringer u. a.. Sie kommen zu folgendem Ergebnis: ‚Der Zusammenhang zwischen Einkommens- und Vermögensverteilung sowie dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum ist überaus komplex, und es darf bezweifelt werden, dass sich ein allgemeingültiger Befund für alle Zeiten wirtschaftlicher Aktivität ableiten lässt … Von den 19 Studien … finden neun einen negativen Zusammenhang [also dass Ungleichheit dem Wachstum schadet], drei einen positiven und sieben unterscheiden verschiedene Effekte in Abhängigkeit weiterer Faktoren‘. Die Autoren folgern, dass eher ein negativer und von den Rahmenbedingungen geprägter Zusammenhang − ein geringeres Wachstum aufgrund steigender bzw. hoher Ungleichverteilung − besteht […].

Eigene Bearbeitung (Übersetzung, Entfernung der Beschriftungen) der Abbildung: „Income inequality and growth across OECD European regions, 2007-2012“ aus: Joe Hasell, Pablo Arriagada, Esteban Ortiz-Ospina and Max Roser (2023) – „Economic Inequality“. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‚https://ourworldindata.org/economic-inequality‘ [Online Resource], CC BY 4.0.

Die empirischen Befunde zu den Zusammenhängen zwischen zunehmender Ungleichheit und wirtschaftlicher Entwicklung thematisieren nicht nur die negativen Rückwirkungen auf Wachstum und Wohlstand. Von wachsender Bedeutung ist auch die Frage, ob die aufklaffenden Verteilungsdisparitäten ein Ursachenfaktor für die ökonomischen Instabilitäten und die schwerwiegenden Krisen der Weltwirtschaft sind – wie insbesondere für die Finanz- und Währungskrise 2008 bis 2010. Die Argumentation der Negativeffekte basiert jeweils auf einem angebots- und einem nachfragebezogenen Ansatz: [Angebotsseitig] wird davon ausgegangen, dass die Bezieher unterer Einkommen zu gering in Bildung investieren (können). Bildung (Humankapital) ist aber unbestreitbar ein wichtiger Treiber von Innovationen und wirtschaftlichem Wachstum. Nachfrageseitig wird befürchtet, dass ohne eine ausreichend hohe Binnennachfrage, die ja insbesondere aus den unteren und mittleren, stark besetzten Einkommensschichten gespeist wird, der private Konsum (der in entwickelten Volkswirtschaften zwischen 60 und 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht) gebremst wird. Entweder kommt es – wie in Deutschland – zu hohen Leistungsbilanzüberschüssen oder aber die Einkommensschwäche wird – wie vor allem in den USA – durch eine überhöhte private Überschuldung ausgeglichen. Diese aber hat maßgeblich zu der Finanzkrise nach 2007 beigetragen. Nach [dem französischen Ungleichheitsforscher] Piketty […] ‚gibt es keinerlei Zweifel daran, dass wachsende Ungleichheit zur Destabilisierung des US-amerikanischen Finanzsystems beigetragen hat‘.“

Gekürzte Fassung des Textes „Ökonomische Instabilität“ von Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de, CC BY-NC-ND 3.0. Kürzungen mit freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung.

Video „Ist die Ungleichheit gestiegen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie, CC BY 3.0. Das Video wird hier von youtube.com eingebettet.

Der Text im Lernabschnitt ist eine gekürzte Fassung von „Ökonomische Instabilität“ von Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de und lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 3.0 Lizenz. Kürzungen mit freundlicher Genehmigung der Bundeszentrale für politische Bildung.

Die Abbildung „Einkommensungleichheit und Wachstum in Regionen Europas“ ist eine eigene Bearbeitung (Übersetzung, Entfernung der Beschriftungen) der Abbildung: „Income inequality and growth across OECD European regions, 2007-2012“ aus: Joe Hasell, Pablo Arriagada, Esteban Ortiz-Ospina and Max Roser (2023) – „Economic Inequality“. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‚https://ourworldindata.org/economic-inequality‘ [Online Resource], CC BY 4.0.

Das Video „Warum sollten wir uns mit Ungleichheit beschäftigen?“ von Miriam Rehm/Institut für Sozioökonomie ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Lizenz.