Bearbeiteter Ausschnitt aus „Ship Console“ von Steven Miller, CC BY 2.0, via flickr.com.
Soll die Steuerung der Konjunktur und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch die Geldpolitik der Zentralbank erfolgen oder durch die Finanzpolitik der Regierung? Auf diese Frage gibt die Modern Monetary Theory (MMT) eine eindeutige Antwort, aus der auch ein Reformbedarf für die Eurozone folgen würde.
„Obgleich ein monetär souveräner Staat finanziell grundsätzlich nicht beschränkt ist (warum das aus Sicht der MMT so ist, kannst du in Kapitel 2 nachlesen), können politische Regeln existieren, die seinen Spielraum bewusst eingrenzen. In Deutschland ist so eine politisch gewollte Restriktion die Schuldenbremse, auf der Euro-Ebene sind es die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die meisten Zentralbanken dürfen staatliche Ausgaben zudem nur dann durchführen, wenn die Regierung zuvor über Steuern oder den Verkauf von Schuldverschreibungen ein Guthaben auf ihrem Zentralbankkonto angehäuft hat. Darüber hinaus ist es den meisten Zentralbanken untersagt, ihrer eigenen Regierung Schuldverschreibungen direkt abzukaufen. Die Staaten wurden hierdurch von den Bewertungen des Finanzmarktes abhängig gemacht, obwohl dies überhaupt nicht nötig wäre.
Solche Regeln wurden eingeführt, weil orthodoxe Ökonom:innen (damit sind z. B. Vertreter:innen der neoklassischen Perspektive gemeint) demokratisch gewählten Politiker:innen misstrauen. Sie befürchten, dass eine finanziell unbeschränkte Regierung insbesondere vor Wahlen der Versuchung unterliegt, durch zusätzliche Ausgaben im öffentlichen Sektor die Arbeitslosigkeit zu senken. Es könne dann passieren, dass eine sich selbst verstärkende Spirale aus steigenden Löhnen und Preisen zu immer höheren Inflationsraten führe. Die Zentralbank müsse dann die Zinsen erhöhen, um private Kredite zu verteuern. Dies wiederum würde die private Investitionsgüternachfrage senken und die Arbeitslosigkeit wieder erhöhen. Die gestiegene Arbeitslosigkeit sollte die Arbeitnehmer disziplinieren und so die Lohn-Preis-Spirale stoppen. Diese Logik folgt aus der Theorie der natürlichen Arbeitslosenquote, die seit den 1980er Jahren die wissenschaftliche Grundlage für die Ausgestaltung von Geld- und Fiskalpolitik darstellt. Staatliche Haushaltsdefizite würden demnach langfristig immer private Investitionen verdrängen (…). Die gesamtwirtschaftliche Steuerung der privaten Nachfrage sollte daher von einem politisch unabhängigen Expertengremium in der Zentralbank übernommen werden. Nur in absoluten Notfällen, in denen private Investitionen auch bei sinkenden Zinsen nicht ansteigen, sollte eine Regierung mit Haushaltsdefiziten die private Nachfrage ergänzen, um eine Rezession schneller zu beenden.

Sitzung des EZB-Rates, des obersten Beschlussorgans der Europäischen Zentralbank (EZB). Hier wird über die Geldpolitik der Eurozone entschieden. „ECB – General Council meeting 07.12. 2017“ von European Central Bank, CC BY-NC-ND 2.0, via flickr.com.
Die Geldpolitik: Ein stumpfes Schwert?
Diese seit den 1990ern auch als Inflationssteuerung bekannte Strategie ist nicht nur aus Sicht der MMT gescheitert. Ob die Geldpolitik jemals in der Lage war, über den Leitzins die Investitionen ausreichend präzise zu steuern, kann bezweifelt werden, da für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen die erwarteten Umsätze deutlich wichtiger sind als die Kreditzinsen. […] Der Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Inflationsrate ist zudem sehr schwach und instabil, wie selbst Mainstream-Ökonom:innen seit einigen Jahren zugeben. […]
Aus Sicht der MMT ist die Geldpolitik daher ein stumpfes Schwert. Die Zentralbanken sind darauf angewiesen, dass der Privatsektor aufgrund geringerer Zinsen seine Investitionsausgaben erhöht. Staatliche Haushaltsdefizite erhöhen hingegen die Nachfrage direkt und regen aufgrund steigender Umsatzerwartungen auch private Investitionen an […]. Sie können so dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die zukünftigen Kapazitätsgrenzen zu erweitern. Daher sollte die Regierung die gesamtwirtschaftliche Stabilisierung übernehmen und von ihrer Zentralbank unterstützt werden. Dass dies auch dazu führen kann, dass zu hohe Ausgaben die Inflationsrate nach oben treiben, wird von der MMT nicht bestritten. Der staatliche Haushalt muss aber von einem demokratisch legitimierten Parlament entschieden werden, das sich im Gegensatz zum Zentralbankrat regelmäßig vor seinen Wähler:innen verantworten muss. Diese werden eine Regierung auch an der Höhe der Inflationsrate bewerten. Die Regierenden wissen und berücksichtigen das, weil sie wiedergewählt werden wollen. […]
Vollbeschäftigung statt Schuldenbremse
Aus MMT-Sicht sollte eine Regierung, die keinen finanziellen Grenzen unterliegt, eine Vollbeschäftigungsstrategie verfolgen. Der US-Ökonom Abba Lerner schlug bereits in den 1940er Jahren vor, die staatliche Finanzpolitik ausschließlich danach zu bewerten, welche Ergebnisse sie erzielt, und nicht anhand der überkommenen Vorstellungen konservativer Haushaltspolitiker:innen. […] Wenn der Privatsektor nicht genügend Nachfrage erzeugt, weil er lieber sein Nettogeldvermögen (Ersparnis) erhöhen möchte statt Ausgaben zu tätigen, kann nur der Staat als Schuldner der letzten Instanz den privaten Sparwunsch erfüllen. Denn die Gutschriften der Regierung sind ja Teil des privaten Geldvermögens. Zudem kann die Zentralbank jede Rechnung der Regierung in der einheimischen Währung begleichen.
Die Restriktionen eines monetär souveränen Staates sind nicht finanzieller, sondern realer Natur. Solange genügend Arbeitskräfte, Maschinen und Know-how vorhanden sind, um ein Vorhaben umzusetzen, sollte es nicht an der Finanzierbarkeit scheitern. Sollten die Ressourcen einer Volkswirtschaft hingegen voll ausgelastet sein, kann eine Regierung keine zusätzlichen Leistungen mehr erwerben und steht unweigerlich in Konkurrenz mit dem Privatsektor um die dann knappen Güter. Der Staat müsste höhere Löhne und Preise bieten als der Privatsektor und würde so die Inflationsrate nach oben treiben.
Sehr wahrscheinlich werden aber auf dem Weg zur Vollbeschäftigung die Preise bereits beginnen, schneller zu steigen, weil einige Branchen ihre Kapazitätsgrenzen erreichen und dann bereit sind, höhere Löhne als ihre Konkurrenten zu zahlen und/oder ihre Gewinne zu erhöhen. Handelt es sich hierbei um ein temporäres Phänomen, weil die Kapazität durch Investitionen ausgeweitet wird und das erhöhte Angebot die Preise dann wieder zu Fall bringt, kann man eine zeitweise höhere Inflationsrate tolerieren. Die Angebotsausweitung lockert schließlich die zukünftigen Kapazitätsgrenzen und ist daher zu begrüßen. Sollten die höheren Preissteigerungsraten sich jedoch zu einer Lohn-Preis-Spirale entwickeln, muss die Regierung entweder ihre Ausgaben reduzieren, etwa indem geplante Investitionen verschoben werden, oder die Steuern erhöhen, um die für den privaten Konsum zur Verfügung stehenden Einkommen zu verringern.
Wenn ein Staat seine Ausgaben mit den eigenen Gutschriften bestreitet und die Zinsen auf diese durch seine Zentralbank selbst bestimmen kann, sollte er seine Finanzpolitik an sozialpolitischen und ökologischen Kriterien ausrichten (und dabei natürlich auch die Inflationsrate berücksichtigen). […]
Nationale Schuldenbremsen und europäische Vorgaben zu staatlichen Haushaltsdefiziten und Schuldenquoten sind wirtschaftlich schädlich und haben eine Erholung des Euroraums nach der Finanzkrise bis heute verhindert. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte daher dringend an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Langfristig sollte der Euroraum zu einer Fiskalunion ausgebaut werden, in der die EZB mit einem europäischen Finanzministerium kooperiert. Kurzfristig müssen den nationalen Regierungen größere Spielräume gewährt werden. Zudem muss die EZB die Zahlungsfähigkeit der Mitgliedsländer dauerhaft sicherstellen. […]“
Textauszug aus: „Modern Monetary Theory. Rückkehr des gesamtwirtschaftlichen Denkens“ von Michael Paetz für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de, CC BY-NC-ND 3.0, Kürzungen mit freundlicher Erlaubnis der bpb und des Autors.