In der Volkswirtschaftslehre gibt es eine Reihe von Denkschulen und Perspektiven, welche die wirtschaftliche Realität wissenschaftlich untersuchen wollen und Vorschläge zur Wirtschaftspolitik machen. Der folgende Text widmet sich der Denkschule des Ordoliberalismus, die besonders in Deutschland einflussreich ist.

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Der Ordoliberalismus ist eine wissenschaftliche Perspektive auf die Wirtschaft, die zugleich eine starke praktisch-wirtschaftspolitische Ausrichtung besitzt. Die Perspektive geht u. a. auf die Arbeiten von Walter Eucken (1891-1950), Leonhard Miksch (1901-1950) und Franz Böhm (1895-1977) zurück. Da Freiburg im Breisgau der Ort war, an dem Walter Eucken lange Zeit arbeitete, wird auch von der „Freiburger Schule“ gesprochen.

Die ordoliberale Perspektive ist in der Wissenschaft vor allem in Deutschland verbreitet und übt hier auch einen besonderen wirtschaftspolitischen Einfluss aus. Besonders stark war dieser Einfluss auf die Wirtschaftspolitik in den 1950er und frühen 1960er Jahren, als Ludwig Erhard – selbst dem Ordoliberalismus nahestehend – zunächst Wirtschaftsminister und dann Bundeskanzler war. Der Ordoliberalismus gilt auch als eine Denkschule, welche die Konzeption der „Sozialen Marktwirtschaft“ in Deutschland maßgeblich beeinflusste – zumindest die oroliberale Verständnisweise dieses Begriffes.

Die Perspektive basiert auf dem klassischen Liberalismus des 18. und 19. Jahrhundert und will diesen weiterentwickeln. Daher wird er auch als ein „neuer Liberalismus“ verstanden und kann zur Theoriefamilie des Neoliberalismus (altgriechisch: „neos“ = neu) gezählt werden. Der klassische Liberalismus ging davon aus, dass die Wirtschaft am besten funktioniere, wenn der Staat sich weitestgehend aus ihr heraushält. Er sollte sich vorrangig darauf beschränken, für äußere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Vertragsfreiheit und eine stabile Eigentumsordnung zu sorgen. In der Volkswirtschaftslehre wurden diese Ideen insbesondere von der Denkschule der Neoklassik aufgegriffen. Eine aktive Wirtschaftspolitik, z. B. zur Konjunktursteuerung, war im klassischen Liberalismus nicht vorgesehen, ebenso keine staatliche Wirtschaftsplanung oder umfassende sozialstaatliche Einrichtungen.

Als Folge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre geriet der klassische Liberalismus jedoch stark in die Kritik. Er schien keine überzeugende politische oder wissenschaftliche Antwort auf die Krise mit ihren erheblichen sozialen und politischen Folgen geben zu können. Die Lehre der „reinen Marktwirtschaft“, die ohne staatliche Eingriffe die bestmöglichsten Ergebnisse erziele („Laissez-faire“-Politik), galt bei vielen als gescheitert, eine optimistische Sichtweise auf die Marktwirtschaft als überholt. Stattdessen entstand der Keynesianismus als neue wirtschaftswissenschaftliche Denkschule, die für mehr staatliche Steuerung in der Wirtschaft und einen Ausbau des Sozialstaats eintraten. In manchen Ländern – z. B. in der kommunistischen Sowjetunion – ging man zu einer umfassenden staatlichen Wirtschaftsplanung und einer grundlegend anderen Eigentumsordnung über.

Manche Anhänger des Liberalismus argumentierten allerdings, dass nicht die Marktwirtschaft an sich fehlerhaft sei, obwohl auch sie die „Laissez-faire“-Politik kritisierten. Stattdessen verwiesen sie darauf, dass der Staat seine Rolle als Regelsetzer neu interpretieren müsse: Er habe dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Regeln so gestaltet würden, dass die Marktwirtschaft bestmöglich funktionieren könnte. Der Staat müsse eine strenge rechtliche Rahmenordnung (lateinisch: „Ordo“ = Ordnung) schaffen. Insbesondere sei dafür Sorge zu tragen, dass der Wettbewerb so perfekt wie möglich funktionieren könne: Keine der Teilnehmerinnen am Markt dürfte über zu viel Macht verfügen, sondern viele Anbieterinnen müssten immer vielen Nachfragerinnen entgegenstehen. Überall in der Wirtschaft müsse ein intensiver Wettbewerb herrschen. Ohne eine strenge staatliche Rahmenordnung würde der wirtschaftliche Wettbewerb an Intensität verlieren, weil sich Anbieterinnen und Nachfragerinnen jeweils zusammenschließen und den freien Wettbewerb behindern. Jede würde außerdem versuchen, den Staat für ihre Belange einzuspannen. Eine Schaffung und Gewährleistung des Wettbewerbs wird von Anhängern des Ordoliberalismus also als eine zentrale staatliche Aufgabe betrachtet.

„Euckens konstituierende und regulierende Prinzipien“ von Julian Becker, CC BY 4.0.

Anhängerinnen des Ordoliberalismus setzten sich dafür ein, dass Wirtschaftspolitik vorrangig Ordnungspolitik sein sollte: Der Staat soll klare Regeln formulieren, innerhalb derer sich die Marktakteurinnen bewegen dürfen. So könnte die Marktwirtschaft sich bestmöglich entfalten und zu einer Wettbewerbswirtschaft werden: Der perfekte Wettbewerb der Neoklassik würde – so gut es eben geht – staatlich geschaffen. Zugleich sind sie oft kritisch gegenüber staatlichen Maßnahmen zur aktiven Steuerung des Wirtschaftsablaufs eingestellt, wie es zum Beispiel bei einer keynesianischen Fiskal- und Geldpolitik vorgesehen ist. Eine aktive Nachfragesteuerung oder Beschäftigungspolitik im keynesianischen Sinne wird meist abgelehnt, ebenso wie eine umfassende wirtschaftliche Planung durch den Staat oder eine als zu großzügig interpretierte Sozialpolitik.

Kritisch wird den Anhängern des Ordoliberalismus unter anderem aus keynesianischer Sicht entgegengehalten, dass sie eine zu optimistische Sicht auf die Marktwirtschaft hätten. Selbst, wenn die oben genannten Prinzipien eingehalten würden, tendiere eine Marktwirtschaft ohne aktive Wirtschaftspolitik oft zu Instabilität und Unterbeschäftigung.

Der Text „,Exploring Economics‘: Der Ordoliberalismus“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Die Abbildung „Euckens konstituierende und regulierende Prinzipien“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0.