Die jüngere deutsche Wirtschaftsgeschichte spiegelt eine allgemeine Tendenz moderner Volkswirtschaften wider: In den drei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung ist sie gewachsen – allerdings war dies von mehreren Auf- und Abschwüngen begleitet. Es lassen sich für die Zeit zwischen 1991 und 2019 vier Phasen identifizieren. Anhand dieser Phasen kann man gut erkennen, welche wirtschaftlichen Faktoren eng mit dem BIP zusammenhängen.

#In the long run…

Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands betrug 1991, im Jahr nach der Wiedervereinigung, etwa 1512 Milliarden Euro (damals natürlich noch in DM angegeben). Im Jahr 2022 betrug das deutsche BIP 3.877 Milliarden Euro. So gesehen ist der volkswirtschaftliche Kuchen, der pro Jahr in Deutschland gebacken wird, heute mehr als doppelt so groß wie zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung.

Berücksichtigt man die Inflation, also den allgemeinen Anstieg der Preise, ergibt sich immer noch eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts (also ein Anstieg der tatsächlichen Wirtschaftsleistung im Sinne einer größeren Menge bzw. einer besseren Qualität der in Deutschland produzierten Güter und Dienstleistungen) von rund 48 Prozent. Man kann die Entwicklung grob in vier Phasen einteilen.

Phase 1: Langer, mäßiger Aufschwung nach der Wiedervereinigung (1991 bis 2001)

In den neuen Bundesländern der ehemaligen DDR gab es einen großen Nachholbedarf an privaten und staatlichen Investitionen zur Modernisierung der Produktionsanlagen und der öffentlichen Infrastruktur. Gleichzeitig passten sich die ostdeutschen Konsumentinnen nach und nach an die Kaufgewohnheiten der Westdeutschen an.

Video „Die Erfurter Altstadt vor und nach der Wende“ von © FOCUS online. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

Ende der 1990er Jahre sprach man im Zusammenhang mit der Verbreitung des Internets und neuer Computertechnologien vermehrt vom Entstehen einer „New Economy“, welche ihren Ursprung in den USA genommen hatte und sich zunehmend auch in Deutschland etablierte. Die Erwartung hoher künftiger Unternehmensgewinne am „Neuen Markt“ ließen die Aktienkurse in die Höhe schnellen und Investitionen in neue Computertechnologien lohnend erscheinen. Umso plötzlicher kam das Platzen der sogenannten „Dotcom-Blase“ zunächst am US-amerikanischen und dann am deutschen Aktienmarkt im Frühjahr 2000. Weiter verschärft wurde der wirtschaftliche Abschwung nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001.

Das reale BIP im „langen Aufschwung“

Das reale BIP im „langen Aufschwung“ von Julian Becker, CC BY 4.0 International. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge im „langen Aufschwung“

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge im „langen Aufschwung“ von Julian Becker, CC BY 4.0. Bruttoinvestitionen umfasst staatliche und private Investitionen. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Hinweise: Die Wachstumsraten des realen BIP (lila Balken) ergeben sich jeweils, indem man alle Wachstumsbeiträge des Jahres (die Balken in den Farben Rot, Orange, Blau und Grün) zusammenrechnet. Die lila Balken haben also die Höhe aller übereinander gestapelten Balken mit positiven Werten abzüglich aller Balken mit negativen Werten.

Die Wachstumsbeiträge der verschiedenen Bestandteile der Nachfrageseite des BIP (C, I, G, (X-M)) werden berechnet, indem man die absolute Veränderung des entsprechenden Bestandteils von einem Jahr zum nächsten durch den absoluten Wert des Bruttoinlandsprodukts des ersten Jahres teilt. Beispiel:

Wachstumsbeitrag des privaten Konsums = \(\frac{\text{Privater Konsum}_{2022}–\text{Privater Konsum}_{2021}}{\text{BIP}_{2021}}\)

Phase 2: Lange Stagnation (2001 bis 2005)

Zwischen 2001 und 2005 befand sich die deutsche Wirtschaft in einer ungewöhnlich langen Stagnationsphase. Im Januar 2005 stieg die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg auf über fünf Millionen Personen. Deutschland galt in dieser Zeit als der „kranker Mann Europas“, nachdem 1999 die Gemeinschaftswährung Euro eingeführt worden war. Die von SPD und Grünen gebildete Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder, welcher 1998 den seit 1982 regierenden Kanzler Helmut Kohl von der CDU abgelöst hatte, reagierte auf diese Schwächephase mit einer Reihe von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen, welche als „Agenda 2010“ in die Geschichte eingegangen ist. Kanzler Schröder kündigte im März 2003 an: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von den Einzelnen fordern müssen.“ Die Agenda 2010 führte zu sehr kontroversen Debatten, die letztlich in vorgezogenen Neuwahlen und der Abwahl der rot-grünen Bundesregierung bei der Bundestagswahl 2005 endeten.

Audio „Gerhard Schröder kündigt ,Agenda 2010′ an“ von © SWR. Die Audiodatei ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von der Webseite des SWR eingebettet.

Das reale BIP in der „langen Stagnation“

Das reale BIP in der „langen Stagnation“ von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der „langen Stagnation“

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der „langen Stagnation“ von Julian Becker, CC BY 4.0. Bruttoinvestitionen umfasst staatliche und private Investitionen. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Phase 3: Kurzer kräftiger Boom und Finanzkrise (2005 bis 2009)

In den Jahren 2005 bis 2007 kam die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wieder in Schwung. Die Arbeitslosigkeit sank kräftig. Wirtschaftsforscherinnen streiten darüber, inwiefern diese zurückgewonnene wirtschaftliche Stärke als Ergebnis der vorangegangenen Strukturreformen der Agenda 2010 zu werten ist oder ob sie durch andere Faktoren erklärt werden kann. Ende 2007/Anfang 2008 wurde der Wirtschaftsaufschwung jäh beendet, durch die globale Finanzkrise, die wiederum in den USA ihren Ursprung nahm.

Video „Made in Germany | Finanzkrise sind die Aktienmärkte noch zu retten?“ von © DW Deutsch. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

Das reale BIP im kurzen Boom und während der Finanzkrise

Das reale BIP im kurzen Boom und während der Finanzkrise von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge im kurzen Boom und der Finanzkrise

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge im kurzen Boom und der Finanzkrise von Julian Becker, CC BY 4.0. Bruttoinvestitionen umfasst staatliche und private Investitionen. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Phase 4: Erholung nach der Finanzkrise (2010 bis 2019)

Während die Weltwirtschaft und insbesondere die Eurozone insgesamt sich nur schleppend von den Folgen der Finanzkrise erholte, sank in Deutschland die Arbeitslosenquote in Jahren nach 2010 zunächst weiter – auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Allerdings kam international zunehmend Kritik an den dauerhaft hohen Exportüberschüssen Deutschlands auf, welche bereits seit Beginn der 2000er Jahre ein wichtiger Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft geworden waren. Im Ausland wurde kritisiert, dass Deutschland dauerhaft weniger Güter und Dienstleistungen nachfragt, als es produziert, und damit darauf angewiesen sei, dass andere Länder im Gegenteil mehr Güter und Dienstleistungen kaufen, als sie selbst produzieren.

Video „Arbeitslosenquote sinkt auf unter fünf Prozent“ von © tagesschau. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

Video „Deutsche Exportstärke in der Kritik | Made in Germany“ von © DW Deutsch. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

Das reale BIP in der „Erholungsphase“

Das reale BIP in der „Erholungsphase“ von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der Erholungsphase

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der Erholungsphase von Julian Becker, CC BY 4.0. Bruttoinvestitionen umfasst staatliche und private Investitionen. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Phase 5: Das BIP in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine

Video „Corona-Krise: Dramatische Folgen für die Wirtschaft“ von © tagesschau. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

Das reale BIP in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine

Das reale BIP in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine

Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine von Julian Becker, CC BY 4.0. Bruttoinvestitionen umfasst staatliche und private Investitionen. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Der Text „,In the long run …‘: 25 Jahre Konjunkturgeschichte“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Das Video „Die Erfurter Altstadt vor und nach der Wende“ von © FOCUS online ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

Der Audiobeitrag „Gerhard Schröder kündigt ,Agenda 2010′ an““ von © SWR ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von SWR.de eingebettet.

Das Video „Made in Germany | Finanzkrise sind die Aktienmärkte noch zu retten?“ von © DW Deutsch ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

Das Video „Arbeitslosenquote sinkt auf unter fünf Prozent“ von © tagesschau ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

Das Video „Deutsche Exportstärke in der Kritik | Made in Germany“ von © DW Deutsch online ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

Das Video „Corona-Krise: Dramatische Folgen für die Wirtschaft“ von © tagesschau ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

Die Abbildung „Das reale BIP im ,langen Aufschwung‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Wachstumsrate des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge zum preisbereinigten BIP (%-Punkte) im ,langen Aufschwung‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Das reale BIP in der ,langen Stagnation‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der ,langen Stagnation‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Das reale BIP im kurzen Boom und der Finanzkrise“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge im kurzen Boom und der Finanzkrise“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Das reale BIP in der ,Erholungsphase‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der ,Erholungsphase‘“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Das reale BIP in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

Die Abbildung „Wachstum des realen BIP (in %) und Wachstumsbeiträge in der Corona-Pandemie und am Beginn des Kriegs in der Ukraine“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.