Im Zusammenhang mit der Banken- und Finanzkrise wurde viel über die Ausstattung der Banken mit sogenanntem Eigenkapital diskutiert. Zu wenig Eigenkapital wurde als ein Faktor identifiziert, der zur Instabilität des Finanzsystems beigetragen habe. Eine politische Reform infolge der Krise war, dass die internationalen Vorschriften zum Eigenkapital der Banken verschärft wurden („Basel III“-Reformpaket). Aber was ist Eigenkapital eigentlich – und wie hängt das mit der Krise zusammen? Dies wird anhand der folgenden Anwendung betrachtet.

#Ökonomie für Expertinnen

Wie sieht eine Bankbilanz aus?

In der Bilanz einer Bank werden – ähnlich wie bei anderen Unternehmen – sowohl die Vermögenswerte festgehalten, welche die Bank zum Beispiel in Form von vergebenen Krediten an Unternehmen oder von ihr gehaltenen Wertpapieren besitzt. Beides stellt eine Forderung dar, welche die Bank gegenüber anderen hat. Im Ganzen nennt man dies die Aktivseite der Bilanz. Zugleich werden in einer Bilanz auf der Passivseite auch die Forderungen festgehalten, die andere gegenüber der Bank haben: Hierzu gehören zum Beispiel die Einlagen derjenigen, die Konten bei der Bank besitzen oder Verbindlichkeiten, welche die Bank bei anderen hat (z. B. Bankschuldverschreibungen). Beides zusammen bezeichnet man auch als Fremdkapital. Vereinfacht ausgedrückt: Auf der Aktivseite sieht man, was andere der Bank schulden, während auf der Passivseite festgehalten wird, was die Bank anderen schuldet.

Vereinfachte Bankbilanz von Julian Becker, CC BY 4.0.

Was ist Eigenkapital und wozu ist es wichtig?

Eine Besonderheit stellt der Posten „Eigenkapital“ dar: Obwohl es auf den ersten Blick verwirrend scheint, wird es auf der Passivseite notiert. Es ist eine Restgröße, welche dafür sorgt, dass die Bilanzsumme (Gesamtwert) auf beiden Seiten gleich groß ist.

Die Überlegung dabei ist recht einfach: Hat die Bank z. B. Ansprüche an andere (Aktivseite) in Höhe von 200 € und schuldet sie anderen (Passivseite) wiederum insgesamt 180 € , dann bleibt ihr ein Überschuss von 20 €, auf den niemand anders einen Anspruch erheben kann (die Zahlen sind natürlich vollkommen unrealistisch).

Eigenkapital = Aktiva – Fremdkapital

Dieser Überschuss ist wichtig, weil er einen Puffer darstellt, wenn mal etwas schiefgeht: Kann eine der Kreditnehmerinnen einen Kredit einmal nicht zurückzahlen, oder verliert ein Wertpapier, das die Bank besitzt, an Wert, kann sie trotzdem ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigerinnen erfüllen, die ja auf der Passivseite notiert werden. Die Kontenbesitzerinnen müssen sich zum Beispiel keine Sorgen darüber machen, dass sie ihr Geld nicht mehr abheben können. Nur die Eigentümerinnen der Bank stehen zunächst mit ihren eigenen Mitteln – eben ihrem Eigenkapital – für mögliche Verluste gerade. Je geringer allerdings dieser „Puffer“ ausfällt, umso gefährlicher ist es, wenn mal etwas nicht so läuft, wie vorgesehen.

So könnte es zum Beispiel passieren, dass Kredite, welche die Bank vergeben hat, von den Kreditnehmerinnen nicht zurückgezahlt werden können. Ab einem gewissen Punkt wird die Bank nicht mehr die Forderungen erfüllen können, die andere ihr gegenüber haben. Selbst wenn die Bank ihr gesamtes Vermögen verkaufen würde, könnte sie mit dem Erlös nicht ihre Schulden begleichen. Das bedeutet, dass das Eigenkapital negativ ist. Wenn dieser Zustand anhält, ist die Bank insolvent oder, salopp gesagt, pleite. Nicht nur die Eigentümerinnen der Bank sind dann möglicherweise von den Verlusten betroffen, sondern z. B. auch die Sparerinnen, die ein Konto bei der Bank haben. Je höher also die Eigenkapitalquote einer Bank ist, umso besser kann sie ein solches Ereignis überstehen.

Diese Zusammenhänge kannst du mit der folgenden Anwendung nachvollziehen:

Die Bankbilanz zeigt, dass die Bank im Ausgangszustand insgesamt Kredite in Höhe von 100 € vergeben hat. Sie hält außerdem 10 Wertpapiere, von denen jedes einen Wert von 10 € hat. Daraus ergibt sich, dass die Aktivseite eine Höhe von 200 € hat.

Auf der Passivseite stehen Forderungen an die Bank durch Einlagen von Sparerinnen in Höhe von 150 €. Außerdem hat die Bank Schuldverschreibungen in Höhe von 30 € ausgegeben. Zusammen macht das 180 €. Daraus ergibt sein ein Eigenkapital von 20 € (Eigenkapital = Aktivseite – Fremdkapital).

  • Erhöhe/Senke nun mit dem entsprechenden Schieberegler den Kurs der Wertpapiere, welche auf der Aktivseite der Bilanz stehen. Welcher Effekt auf das Eigenkapital der Bank lässt sich beobachten?
  • Ab welchem Punkt könnte die Entwicklung problematisch sein?

Hebelung

Im Vorlauf der Banken- und Finanzkrise haben viele Banken versucht, ihre Eigenkapitalquote möglichst gering zu halten. Stattdessen wollten sie davon profitieren, dass sie Geld günstig leihen konnten, um damit ertragreiche Geschäfte zu machen. Diese Praxis nennt man „Leverage“ („Hebelung“). Ähnlich, wie man mit einem Hebel ein hohes Gewicht mit wenig Kraftaufwand bewegen kann, kann man mit Hilfe von „Leverage“ gute Profite machen, ohne viel Eigenkapital in Reserve zu halten. Diese Praxis wird mithilfe der sogenannten „Leverage“-Rate („Kredithebel“) gemessen.

  • Stelle den Ausgangszustand wieder her (Kurs der Wertpapiere auf 10). Beobachte, was mit Passivseite, Aktivseite, Eigenkapitalquote und Kredithebel passiert, wenn die Bank zusätzliche Schulden aufnimmt, um weitere Wertpapiere kaufen. Dazu musst du den Schieberegler für „Schuldverschreibungen“ nach rechts schieben.
  • Wie verhalten sich Kredithebel und Eigenkapitalquote in diesem Fall zueinander?

Und was hat das jetzt mit der Bankenkrise zu tun?

Wie oben zu sehen war, verhalten sich Eigenkapitalquote und Kredithebel gegenläufig zueinander: Steigt das eine, fällt das andere. Möchte Banken also eine „großen Hebel“ haben, ist ihre Ausstattung mit Eigenkapital geringer. Für die Zeit vor der Banken- und Finanzkrise war charakteristisch, dass die Banken im historischen Vergleich äußerst hohe „Leverage“-Raten hatten – also relativ wenig Eigenkapital im Verhältnis zu ihrem Fremdkapital vorhielten.

  • Stelle den Ausgangszustand wieder her (Kurs der Wertpapiere auf 10). Vergleiche nun zwei Fälle: Reduziere den Kurs der Anleihen unter 10 bei a) einer maximal hohen Kredithebel und b) bei einem maximal niedrigen Kredithebel. In welchem Fall gerät die Bank schneller in Schwierigkeiten?

Bei einem hohen Kredithebel sind Wertverluste auf der Aktivseite schlechter zu verkraften, als bei einem niedrigen Kredithebel. Auf die Situation der Jahre 2007 bezogen bedeutete dies: Sobald die Rückzahlungen der Hypothekendarlehen ausblieben und die Immobilienpreise einbrachen, sank auch der Wert der Papiere, die durch Hypothekendarlehen abgesichert waren. Niemand wollte diese Papiere mehr kaufen, und viele, die sie besaßen, wollten sich von ihnen trennen. Die Banken mussten somit diese Papiere abschreiben – d. h. also, den entsprechenden Posten in der Bilanz reduzieren oder ganz streichen. Andererseits hatten sie sich zuvor stark verschuldet und wiesen hohe Fremdfinanzierungsquoten auf. Der „Puffer“ der Banken mit Eigenkapital war also gering. Relativ schnell konnte so eine Insolvenz drohen.

„Leverage Ratio“ (= Bilanzsumme/Eigenkapital) britischer und US-amerikanischer Banken, 1976–2014

„Leverage Ratio“ (= Bilanzsumme/Eigenkapital) britischer und US-amerikanischer Banken, 1976–2014 von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: US Federal Reserve (2016), Bank of England (2012) – processed by Our World in Data. “LEVERAGE (TOTAL ASSETS/EQUITY)” [dataset]. US Federal Reserve (2016), Bank of England (2012) [original data].

flashMOOC: Banken und Finanzkrisen

Im folgenden interaktiven Video der Universität Bern wir die Rolle von Banken, deren Bilanzen, ihrem Eigenkapital sowie der Verflechtung der Banken untereinander noch einmal ausführlicher geschildert:

H5P-Element „Banken und Finanzkrisen | flashMOOC | Universität Bern“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Der Text „Ökonomie für Expertinnen: Bankbilanzen in der Finanzkrise“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Die Abbildung „Vereinfachte Bankbilanz“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0.

GeoGebra-Element „Bankbilanzen in der Finanzkrise“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Bitte beachten Sie außerdem die GeoGebra Lizenz.

H5P-Element „Banken und Finanzkrisen | flashMOOC | Universität Bern“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Interactive Video“ steht unter einer MIT-Lizenz.