In den vorigen Lernabschnitten hast du gesehen, wie Preisniveaustabilität definiert und gemessen werden kann und warum Inflation und Deflation negative Auswirkungen haben können. Was sind die Ursachen von Schwankungen des Preisniveaus – und wie kann die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik hier gegensteuern?

„Neben der Bereitstellung von Geldscheinen und -münzen und der Begleitung und Überwachung der Geschäftstätigkeit der privaten Banken haben Zentralbanken die Aufgabe, die konjunkturelle Entwicklung und die Entwicklung der Inflation zu beobachten und mit Hilfe der Zinspolitik zu steuern.

Die Aufgabe der Konjunktursteuerung kann aus der keynesianischen Theorie abgeleitet werden, da hier davon ausgegangen wird, dass der Privatsektor, auf sich allein gestellt, zu Übertreibungen neigt (überhitzte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen im Aufschwung bzw. Nachfrageschwäche im Abschwung). Zugleich sind der Zentralbank in ihrer Rolle der Nachfragesteuerung in den meisten Ländern dadurch Grenzen gesetzt, dass in ihrem Mandat das Ziel der Preis[niveau]stabilität als vorrangige Aufgabe festgeschrieben ist. Die Zentralbank darf also die Konjunktur nur in dem Maße unterstützen, wie dadurch die Preis[niveau]stabilität nicht gefährdet wird. Hierin lassen sich neoklassisch inspirierte Elemente ausmachen, da insbesondere neoklassische Ökonominnen […] befürchten, dass Zentralbanken unter politischem Druck dazu neigen könnten, durch niedrige Zinsen kurzfristig konjunkturelle Strohfeuer zu entfachen – mit dem Ergebnis, dass längerfristig die Inflation ins Unermessliche steigt […]. Insofern entspricht das Mandat der Inflationssteuerung dem vor der Krise verbreiteten Neuen Konsens der Makroökonomik.

Die Rolle der Inflationssteuerung im Neuen Konsens der Makroökonomik

Die Politik der Inflationssteuerung basiert auf dem aus der makroökonomischen Theorie bekannten Konzept der sogenannten Phillips-Kurve. Danach führt eine niedrige Arbeitslosigkeit im wirtschaftlichen Aufschwung tendenziell zu einem stärkeren Anstieg von Nominallöhnen und Preisen (Anstieg der Inflation), während eine hohe Arbeitslosigkeit im wirtschaftlichen Abschwung in der Regel mit einem geringeren Anstieg von Nominallöhnen und Preisen (geringere Inflation) oder sogar mit Nominallohnsenkungen und fallenden Preisen (Deflation) einhergeht.“1

Die Phillips-Kurve ist benannt nach dem Wirtschaftsforscher Alban William Philipps (1914-1975). Er veröffentliche im Jahr 1958 einen Aufsatz, in dem er sich anschaute, wie sich in der Vergangenheit in England das Wachstum der gezahlten Löhne (Nominallöhne) und die Arbeitslosenquote zueinander verhalten hatten. Er stellte fest: In Jahren mit hoher Arbeitslosigkeit wuchsen die Löhne oft eher wenig, während in Jahren mit niedriger Arbeitslosigkeit oft höhere Lohnzuwächse zu verzeichnen waren. Bekannt geworden ist die folgende grafische Darstellung dieser Beobachtung. Sie erklärt auch, warum man von der Phillips-Kurve spricht.

Im Koordinatensystem oben ist auf der horizontalen Achse die Arbeitslosenquote und auf der vertikalen Achse der Zuwachs der Nominallöhne abgebildet. Durch ein Setzen des Häckchens kannst du dir die Werte für Großbritannien im Zeitraum von 1861 bis 1913 anzeigen lassen. In jedem Jahr gab es eine Arbeitslosenquote in einer bestimmten Höhe (die horizontale Achse) und ein bestimmtes Wachstum der gezahlten Löhne (die vertikale Achse). Die Lage eines Punktes hängt also davon ab, wie hoch Arbeitslosigkeit und Lohnwachstum in diesem Jahr waren: Im Jahr 1864 (der rote Punkt) lag beispielsweise die Arbeitslosenquote bei 1,7 Prozent, während die Nominallöhne im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 Prozent wuchsen. Schon auf den ersten Blick bekommt man den Eindruck, dass die Punkte nicht vollkommen beliebig über das Koordinatensystem verstreut sind. Diese Verteilung der Punkte könnte auf einen Zusammenhang hindeuten, den man durch eine Linie oder Kurve auszudrücken versucht, entlang derer sich die Punkte gruppieren. Versuche zunächst, den ungefähren Verlauf dieser Kurve einzuzeichnen (wähle dazu das Werkzeug „Stift“ aus).

Mathematisch kann man nun eine Kurve berechnen, die den Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Lohnzuwachsrate darstellen soll. Du kannst diese sogenannte „ursprüngliche Phillipskurve“ einblenden, indem du das entsprechende Häkchen setzt. Hast du diese Kurve mit deiner Skizze einigermaßen getroffen?

Diese „ursprüngliche“ Philipps-Kurve wurde dann zu einer „modifizierten Philipps-Kurve“ weiterentwickelt (siehe unten), bei der auf der vertikalen Achse nicht mehr die Wachstumsrate der Nominallöhne gezeigt wird, sondern die Inflationsrate – also die Veränderung des allgemeinen Preisniveaus. Dieser Schritt lässt sich dadurch erklären, dass die Löhne der Beschäftigten für die Unternehmen ein zentraler Kostenpunkt sind, deshalb – neben anderen Aspekten, insbesondere der Entwicklung der Produktivität – die Preisgestaltung der Unternehmen beeinflussen und so letztendlich auch Einfluss auf das allgemeine Preisniveau haben.

„Modifizierte Philippskurve“ von Julian Becker, CC BY 4.0.

Diese Darstellung erweckt den Eindruck (und wurde von Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen manchmal auch so verstanden), dass es für die Politik eine einfache Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation gäbe und man sich sozusagen nur für das „kleinere Übel“ entscheiden müsse: Entweder höhere Inflation (und die damit verbundenen Störung der Funktion von Märkten sowie Umverteilungseffekte) oder Arbeitslosigkeit (und die damit verbundenen ökonomischen, sozialen und politischen Folgen). In dieser Vorstellung ergibt sich ein einfacher Zielkonflikt zwischen den wirtschaftspolitischen Zielen „Preisniveaustabilität“ und „hohe Beschäftigung“. Stellvertretend für diese Auffassung wird oft ein Zitat des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1918–2015) angeführt:

„Mir scheint, dass das deutsche Volk – zugespitzt – 5 Prozent Preisanstieg eher vertragen kann als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“

Helmut Schmidt, 1972

Insbesondere die Anhänger der „neoklassischen Gegenrevolution“, allen voran Milton Friedman (1912–2006), lehnten diese Sichtweise ab und übten Kritik an der damaligen Interpretation der Philipps-Kurve. Friedman ging davon aus, dass es letztendlich strukturelle Faktoren seien, die über die Höhe der Arbeitslosenquote entscheiden und das eine Wahl zwischen „mehr Inflation“ oder „mehr Arbeitslosigkeit“ nur kurzfristig existieren könne. Langfristig würde die Arbeitslosigkeit wieder auf ein „natürliches“ Niveau zurückkehren, das von strukturellen Faktoren bestimmt sei. Der Versuch, eine Beschäftigung über diesem Niveau mit einem höheren Preisniveau zu erkaufen, würde letztendlich zu einer sich immer stärker beschleunigenden Inflation führen. Die Entwicklung in den 1970er Jahren schien Friedman recht zu geben: Steigende Arbeitslosigkeit und ein steigendes Preisniveau traten gleichzeitig auf.

Nichtsdestrotz bleibt der Philipps-Kurven-Zusammenhang für eine Untersuchung der Gesamtwirtschaft wichtig und spielt auch in der heutigen Wirtschaftsforschung weiterhin eine zentrale Rolle. Aber wodurch entsteht er eigentlich?

„Wenn die Arbeitslosigkeit gering ist, werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. die Gewerkschaften höhere Lohnforderungen formulieren, weil sie sich nicht allzu sehr vor Beschäftigungsverlusten durch zu hohe Löhne fürchten müssen. Gleichzeitig werden die Unternehmen versuchen, ihre Gewinnmargen zu verteidigen und einen Anstieg der Reallöhne zu verhindern. Zu diesem Zweck werden sie auf höhere Nominallöhne mit höheren Preisen reagieren. Weil bei geringer Arbeitslosigkeit die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen tendenziell ebenfalls kräftig ist, werden die Unternehmen nicht befürchten müssen, dass sie ihre Produktion bei steigenden Preisen nicht mehr absetzen können. Im Ergebnis kann es im Laufe eines Aufschwungs zu sogenannten Lohn-Preis-Spiralen kommen. Wenn diese außer Kontrolle geraten, besteht eine Gefahr für die Stabilität der gesamten Volkswirtschaft, weil es bei rasant steigenden Preisen für Haushalte und Unternehmen schwierig wird, den Überblick zu behalten und Einnahmen und Ausgaben zuverlässig zu planen. In einer solchen Situation wird die Zentralbank die Zinsen erhöhen und dadurch die Kredite für private Haushalte und Unternehmen teurer und die Bildung von Geldvermögen attraktiver zu machen – in der Hoffnung, dass hierdurch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gedämpft wird. Dies wiederum wird dann, so die Theorie, wieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit zu geringeren Lohnforderungen durch die Gewerkschaften und zu niedrigerer Inflation führen.

Umgekehrt kann es in einer wirtschaftlichen Schwächephase zu Deflationsspiralen kommen, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. die Gewerkschaften aus Angst vor Arbeitslosigkeit niedrigere Löhne akzeptieren werden. Dies wiederum kann die Unternehmen zu Preissenkungen veranlassen, weil sie wegen der schwachen Nachfrage befürchten müssen, dass sie ihre Güter und Dienstleistungen nicht verkaufen können. In diesem Fall senkt die Zentralbank die Zinsen mit dem Ziel, Kredite billiger zu machen und somit die Geldvermögensbildung unattraktiver zu machen und die die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen anzukurbeln. Eine Deflation bringt erhebliche gesamtwirtschaftliche Gefahren mit sich, weil es bei fallenden Einkommen für die privaten Haushalte und Unternehmen immer schwieriger wird, ihre in der Vergangenheit aufgenommen Schulden zurückzuzahlen, welche anders als die Einkommen nicht im Wert zurückgehen […].

Die Grenzen der Geldpolitik aus neoklassischer und keynesianischer Sicht

Wenn die tatsächliche Inflation dem Inflationsziel der Zentralbank entspricht, gibt es für diese keine Veranlassung, die Zinsen zu verändern. Falls die Arbeitslosigkeit in einer solchen Situation dennoch hoch ist, wird im Rahmen des Neuen Konsens der Makroökonomik davon ausgegangen, dass diese struktureller Natur ist. Das bedeutet, dass die Arbeitslosigkeit durch eine konjunkturpolitische Steigerung der Nachfrage nur um den Preis immer weiter steigender Inflation gesenkt werden kann. Da hierdurch das Inflationsziel der EZB verletzt würde, müssen die Regierungen die Arbeitslosigkeit auf anderem Wege bekämpfen. Aus neoklassischer Sicht bieten sich hierzu Reformen zur Deregulierung des Arbeitsmarktes an, welche zum einen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächen und zum anderen die Produktivität erhöhen. Wenn die Unternehmen durch höhere Produktivität entlastet werden, ergibt sich hieraus ein Spielraum für höhere Löhne, ohne dass eine höhere Inflation entsteht […].

Keynesianerinnen […] sind skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit der Geldpolitik – vor allem in schweren wirtschaftlichen Schwächephasen mit drohender Deflationsspirale. Daher wird argumentiert, dass zusätzlich die Fiskalpolitik aktiv zur Konjunktursteuerung eingesetzt werden sollte. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Geldpolitik in Reaktion auf steigende Arbeitslosigkeit und fallende Inflation die Zinsen bereits auf Null gesenkt und damit die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten erreicht hat, um die Nachfrage zu stärken. […] Keynesianische Ökonominnen […] fürchten, dass sich eine zunächst konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit nach und nach strukturell verfestigt, wenn Geld- und Fiskalpolitik bei einer Nachfrageschwäche zu lange zu wenig gegensteuern (sogenannte Hysterese).“1

1 Die gekennzeichneten Textstellen in diesem Lernabschnitt sind überarbeitete und erweiterte Ausschnitte aus: Till van Treeck für bpb.de: Die Inflationssteuerung durch die Geldpolitik, CC BY-NC-SA 4.0.

Der Text im Lernabschnitt „Die Inflationssteuerung durch die Geldpolitik“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0. Er enthält überarbeitete Ausschnitte aus „Die Inflationssteuerung durch die Geldpolitik“ von Till van Treeck für bpb.de, ebenfalls lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0.

GeoGebra-ELement „Die ursprüngliche Phillips-Kurve“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Bitte beachten Sie außerdem die GeoGebra Lizenz.

Die Abbildung „Modifizierte Philippskurve“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0.