Die Perspektive der Neoklassik ist am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie war über weite Strecken der Geschichte wohl die einflussreichste Perspektive in der Volkswirtschaftslehre. Viele Wissenschaftlerinnen orientieren sich auch heutzutage hauptsächlich an ihr. Sie liefert die Grundlage für wirtschaftspolitische Empfehlungen, die tendenziell eher als angebotsorientiert bezeichnet werden können. Der Textauszug von der E-Learning-Plattform „Exploring Economics“ stellt die Perspektive vor.

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Exploring Economics ist eine frei zugängliche e-Learning-Plattform für Wirtschaftswissenschaften. Hier kannst Du die Pluralität der Wirtschaftstheorien, Methoden und Themen entdecken und studieren.

Angebot, Nachfrage und Knappheit

„Die Bezeichnung ‚neo-classical‘ wurde […] im Jahre 1900 geprägt und beschreibt die von Alfred Marshall begründete Synthese von subjektiver und objektiver Werttheorie als Angebots- und Nachfragediagramm. Marshall brachte das klassische Verständnis, dass sich der Wert eines Gutes durch die Produktionskosten ergibt, mit den damals neuen Einsichten der Grenznutzenschule zusammen, wonach der Wert durch den individuellen Nutzen bestimmt wird. Noch heute steht das Marktdiagramm als Zusammentreffen von (objektiver) Angebot- und (subjektiver) Nachfragefunktion im Zentrum der neoklassischen Ökonomik.

Der […] Kern der neoklassischen Theorie bildet den heutigen ‚Mainstream‘ der Volkswirtschaftslehre und dominiert die ökonomische Bildung und Forschung. […] Das zentrale Problem der Ökonomie liegt nach neoklassischem Verständnis in der begrenzten Natur gesellschaftlicher Ressourcen. Die Ökonomik als Wissenschaft soll aufgrund dieser Knappheit die Bewirtschaftung einer Volkswirtschaft studieren, um Wohlstand durch optimale Zuteilung von Ressourcen […] zu ermöglichen. Dabei kann die Ökonomie vereinfacht als Tauschwirtschaft verstanden werden, in welcher rationale Akteure mit [feststehenden] Ausstattungen auf Märkten interagieren und auf Grund von wechselseitigem Nutzen Handel betreiben. Die Quelle für das Funktionieren einer Wirtschaft liegt dabei in ihrer Produktivität begründet, welche den Lebensstandard einer Nation bestimmt.

Rational und nutzenorientiert: Der homo oeconomicus

Die neoklassische Theorie geht bei ihrer Konzeption der Wirtschaft von Individuen aus, die vor abzuwägenden Alternativen stehen und mit ihren Entscheidungen den eigenen Nutzen maximieren wollen. Sie folgen darin dem Rationalprinzip (auch ‚ökonomisches Prinzip‘), nach welchem für einen gegebenen Input der Output maximiert oder für einen gegebenen Output der Input minimiert werden soll. Um als Wirtschaftssubjekt zu einem optimalen Ergebnis zu gelangen, wird eine Abwägung von Kosten und Nutzen als Entscheidungsgrundlage herangezogen […]. In diesem Kontext wird häufig die Abstraktion des homo oeconomicus herangezogen. Dieser repräsentiert ein idealtypisches Individuum, welches im Sinne der Nutzenmaximierung rational und vornehmlich mit Blick auf seinen Eigennutzen handelt.

Mit Hilfe von Zusammenfassungen der individuellen Nutzenfunktionen lässt sich die gesamtgesellschaftliche Nachfrage herleiten, welche auf dem Markt auf das gesamtgesellschaftliche Angebot trifft. Durch den Preismechanismus […] streben Angebot und Nachfrage ein Gleichgewicht an, in welchem sich diese entsprechen und der Markt als geräumt gilt, sodass der Preismechanismus in der neoklassischen Theorie als optimales Zuteilungsinstrument angesehen wird. […] Solange kein Marktversagen wie beispielsweise das Auftreten von externen Effekten oder die Bildung von Monopol- oder Oligopolstrukturen vorliegt, führt der Marktmechanismus durch Selbstorganisation zum volkswirtschaftlichen Optimum. […]

H5P-Element „Neoklassik“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Aus den Überlegungen zum Individualismus und zur instrumentellen Rationalität ergibt sich ein Menschenbild, in dem Menschen und ihre Präferenzen einerseits als black-box betrachtet werden, d. h. relativ autonom und unabhängig von äußeren Einflüssen sind. Andererseits wird von einer Zweckrationalität ausgegangen, in der die Akteure versuchen ihr Ziel, d. h. die Maximierung von Nutzen entsprechend ihrer Präferenzen, möglichst effizient zu erreichen. Während die Logik der Maximierung als menschlich universell angesehen wird, ist der Inhalt der Präferenzen [= das, was die Menschen wollen] variabel. […]

Schlussendlich führen die Entscheidungen und Handlungen auf der Ebene jedes einzelnen Individuums [Mikroebene] zu einem gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichtszustand auf der Ebene der Gesamtwirtschaft [Makroebene]. Dabei tendiert der Markt im Normalfall von sich aus zu einem gleichgewichtigen Zustand, weshalb dieser als prinzipiell stabil angesehen wird. Das bedeutet nicht, dass sich der Markt fortwährend im Gleichgewicht befindet, sondern dass dieser in der langen Frist einen statischen, stabilen Zustand anstrebt. […]

H5P-Element „Neoklassik: Ausschnitte aus https://www.exploring-economics.org/de/orientieren/#compare“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Wertvorstellungen und Ideologie

Ethische Fragestellungen sind dem neoklassischen Verständnis nach nicht Gegenstand der grundlegenden ökonomischen Analyse, sondern kommen erst bei explizit normativer Betrachtung ins Spiel. Nach Quaas und Quaas […] stellt die Mehrung des Wohlstandes das primäre Ziel der Mainstreamökonomik dar. Dieses Selbstverständnis begründet die neoklassisch-makroökonomische Fokussierung auf Wirtschaftswachstum als Zielvariable. Sowohl das Instrumentarium der Kategorien, Begriffe und Zusammenhänge als auch die Heuristiken werden dabei als wertneutral dargeboten. Die meisten Neoklassiker*innen stellen die Unterscheidung von Tatsachen gegenüber Normen auf […]. Aus diesem Verständnis heraus argumentieren die Autoren eines führenden Lehrbuches wie folgt: ‚Bei der Behandlung ökonomischer Fragen müssen wir sorgfältig zwischen Fakten und Wertvorstellungen unterscheiden. Die positive Ökonomik beschreibt die Fakten einer Wirtschaft, während sich die normative Ökonomik mit Werturteilen befasst‘ […].

Allerdings fußt auch die Neoklassik in ihren Grundannahmen auf einem normativen Fundament, welches sich aus der grundsätzlichen Problemstellung, d.h. der effizienten Allokation [= Verteilung] knapper Ressourcen, ableitet. So nimmt sie an, dass es das Ziel der Menschen ist, ihren Nutzen
zu maximieren, welches wiederum mathematisch modelliert werden kann. Da ausschließlich die Individuen ihre Präferenzen kennen, stellt der Markt dabei das beste Instrument dar, um diese zu befriedigen. Ein Eingreifen des Staates wird nur in Fällen von Marktversagen als wirtschaftlich sinnvoll erachtet und der vollkommene Markt als theoretischer Normalfall und vollständige Konkurrenz als Idealzustand angenommen. Ideologisch erkennt die Neoklassik nur die negative Freiheit, also die Freiheit von Zwängen (wie Staatseingriffe) an und sieht diese am besten in einem Marktsystem verwirklicht. Diese Kategorisierung und Begrifflichkeit impliziert eine gewisse ‚Marktgläubigkeit‘, weshalb neoklassische Ökonom*innen oft mit einem wirtschaftsliberalen Weltbild in Verbindung gebracht werden.[…]“

Gekürzte und leicht überarbeitete Version des Textes von: Lara Boerger und das Exploring-Economics-Team für exploring-economics.de: NeoklassikCC BY 4.0.

Der Text im Lernabschnitt „„Exploring Economics“: Die Neoklassik“ ist ein gekürzter Ausschnitt aus „Neoklassik“ von Lara Boerger und dem Exploring-Economics-Team und lizenziert unter CC BY 4.0.

H5P-Element: „Neoklassik“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Course Presentation“ steht unter einer MIT-Lizenz.

H5P-Element: „Neoklassik: Ausschnitte aus https://www.exploring-economics.org/de/orientieren/#compare“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Accordion“ steht unter einer MIT-Lizenz.

GeoGebra-ELement „Einfaches Marktmodell“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Bitte beachten Sie außerdem die GeoGebra Lizenz.