Der Beginn der großen Banken- und Finanzkrise ist inzwischen mehr als ein Jahrzehnt her. Nachdem im Jahr 2009 das BIP geschrumpft war, sind seitdem zumindest in der Bundesrepublik kontinuierlich positive Wachstumsraten zu verzeichnen. Auch die Beschäftigung hat sich seitdem hier wieder positiv entwickelt. Ist die Banken- und Finanzkrise also als ein Fall für die Geschichtsbücher? Die folgenden Materialien argumentieren, dass in vielen Ländern neben den wirtschaftlichen Folgen auch die sozialen und politischen Folgen der Krise noch heute spürbar sind.

„Rechts gewinnt“

Von großen Finanzkrisen profitieren oft dieselben politischen Kräfte. Warum das so ist, hat der Ökonom Christoph Trebesch untersucht – und ist überrascht, dass der Crash von 2008 immer noch nachwirkt.

Interview: Elisa Simantke

Fluter.de: Sie haben die politischen Auswirkungen von Finanzkrisen der letzten 150 Jahre untersucht. Was haben Sie herausgefunden?

Christoph Trebesch: Wir haben uns die Folgen in 20 Demokratien weltweit angeschaut und festgestellt, dass Finanzkrisen ganz erhebliche politische Verwerfungen nach sich ziehen. Einfach gesagt: Die etablierten Parteien leiden, extreme und populistische Parteien gewinnen.

Was macht diese extremen und populistischen Parteien aus?

Zum einen gibt es klassische faschistische oder kommunistische Gruppierungen, etwa in den 1930er-Jahren. Wir berücksichtigen aber auch rechts- und linkspopulistische Parteien. Nach unserer Definition sind Parteien populistisch, wenn sie einen Konflikt zwischen zwei Gruppen in der Bevölkerung heraufbeschwören. Auf der einen Seite steht dann das ‚wahre Volk‘ und auf der anderen die ‚korrupte Elite‘. Die politische Strategie ist oft komplett auf diesen scheinbaren Konflikt ausgerichtet, und Populisten beanspruchen, als Einzige für das ‚wahre Volk‘ zu sprechen. Sie nutzen rhetorische Mittel wie die Polarisierung (‚wir‘ gegen ‚die‘), die Elitenkritik und die Betonung des Nationalen.

Eines Ihrer Ergebnisse ist, dass rechte Parteien dabei deutlich stärker profitieren als linke. Wie kommt das?

Das war für uns eine Überraschung. Wir hatten erwartet, dass kommunistische und linkspopulistische Parteien von einer solchen Situation stärker profitieren, da es ja um eine Krise auf dem Kapitalmarkt geht. Da denkt man doch, es müssten Parteien dazugewinnen, die den Kapitalismus als System infrage stellen. Aber dem ist nicht so. Stattdessen scheinen Wähler in Krisenzeiten besonders empfänglich für Politiker, die Migranten und Ausländer zu Sündenböcken machen. Es kommt also zu einer Verschiebung von einer Kritik am Finanzsystem hin zu einer Kritik an offenen Grenzen und offenen Gesellschaften.

Video „Rechtspopulismus, was ist das? Kurz erklärt auf bpb.de“ von Bundeszentrale für politische Bildung bpb für bpb.de, CC BY-NC-ND 3.0.

Zehn Jahre nach der Finanzkrise 2008 sind rechtspopulistische Parteien in fast allen europäischen Ländern stark. Sie sagen, das sei ein Muster, das sich wiederholt.

Es ist ein Phänomen, das wir seit dem 19. Jahrhundert immer wieder beobachten. Parteien am rechten Rand haben von großen globalen Krisen profitiert, wie etwa die Depression nach 1929 oder der Bankenkollaps 2008. Die Effekte sind aber auch bei kleineren, regionaleren Finanzkrisen zu beobachten.

Bei anderen Wirtschaftseinbrüchen, die keine Finanzkrise zur Folge haben, gibt es das Phänomen nicht?

Wir haben Finanzkrisen mit anderen schweren Krisen verglichen, bei denen es zu einem Wirtschaftseinbruch kam, aber zu keinem Bankencrash. Die politischen Effekte treten fast ausschließlich dann auf, wenn es eine Finanzkrise gab, jedoch nicht bei anderen Arten von Wirtschaftskrisen und Rezessionen.

Wie erklären Sie sich das?

Unserer Interpretation nach gibt es dafür drei mögliche Gründe. Erstens: Eine Ölkrise wird von den Wählern noch eher als ein von außen kommender Schock wahrgenommen. Eine Finanzkrise dagegen gilt als unentschuldbar, denn Politiker haben bei der Regulierung der Banken offensichtlich das Falsche gemacht. Daher werden auch die etablierten Parteien so stark abgestraft. Der zweite Grund: Es kommt zu großen Rettungspaketen – zu sogenannten Bail-outs – und zeitgleich zu Kürzungen bei den Ausgaben für Sozialleistungen, Kultur oder Bildung. Banken zu retten ist in der Krise oft das einzige Mittel, um noch Schlimmeres zu verhindern. Aber es entsteht der Eindruck, dass für die Banken immer Geld da ist, nicht aber für andere wichtige gesellschaftliche Zwecke. Das stärkt Protestwahlverhalten. Und drittens: Finanzkrisen stellen das System als Ganzes infrage – den Kapitalismus –, und auch daher tendieren Wähler dann dazu, systemkritische Parteien zu wählen.

Ebbt der Erfolg von populistischen Parteien nach dem Ende der Krise wieder ab?

Wir konnten in den Daten erkennen, dass das Erstarken der extremen und populistischen Parteien sich fünf bis zehn Jahre nach der Krise wieder abschwächt. Das scheint seit der Krise von 2008 aber bisher nicht so zu sein, im Gegenteil. Die Situation verfestigt sich, und die Parteien am rechten Rand werden eher noch stärker, so auch in Europa. Die Normalisierung der Politik bleibt aus. Wir steuern beunruhigend schnell auf eine neue populistische Ära zu.

Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Studie?

Wir haben gelernt, dass die gesellschaftlichen Folgen von Finanzkrisen noch größer sind, als das gemeinhin von Ökonomen gesehen wird. Die Finanzmarktaufsicht, die Regulierungsbehörden, die Zentralbanken und die Regierungen tragen eine sehr große Verantwortung bei der Aufsicht von Banken und anderen Finanzakteuren. Sie sollten Finanzkrisen nicht nur bewältigen, sondern bestmöglich versuchen, ihnen vorzubeugen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Das Beispiel Kanada zeigt, dass man den heimischen Finanzsektor durchaus so regulieren kann, dass es nicht immer wieder zu Krisen kommt. Das Land hatte seit 1840 noch keinen einzigen Bankencrash, während die USA seitdem ganze zwölf Finanzkrisen durchgemacht haben.“

Video „Spanien: Auf die Straße gesetzt | Europa Aktuell“ von © DW Deutsch. Das Video ist nicht unter einer offenen Lizenz veröffentlicht und wird hier von Youtube.com eingebettet.

„Armutsfolgen der Banken- und Finanzkrise“

[…] In ganz Europa ist das Armutsrisiko seit der Banken- und Finanzkrise gestiegen. Nach der EU-Definition werden alle Personen als armutsgefährdet verstanden, die weniger als 60 % des mittleren Einkommens ihres Landes zur Verfügung haben. Dem statistischen Bundesamt zufolge liegt der Schwellenwert der Armutsgefährdung in Deutschland im Jahr 2014 bei 11.840 € jährlich für Alleinlebende und bei 24.864 € jährlich für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren. Das höchste Armutsrisiko haben deutschlandweit nach wie vor Arbeitslose: 67,4 % der Arbeitslosen waren 2014 armutsgefährdet, 2008 waren es noch 56,8 %. Während 2007, vor der Banken- und Finanzkrise, erst 15,2 % der deutschen Bevölkerung armutsgefährdet waren, stieg der Wert im Jahr 2014 auf 16,7 % an. Altersarmut spielt darüber hinaus eine große Rolle. Nach dem statistischen Bundesamt sind im Jahr 2014 in Deutschland 16,3 % der Personen im Alter von 65 Jahren oder älter von Armutsgefährdung betroffen.

In der gesamten Europäischen Union liegt die durchschnittliche Armutsgefährdungsquote bei 17,2 % im Jahr 2014, vor der Krise waren es noch 16,5 % der europäischen Gesamtbevölkerung. In Spanien und Griechenland ist 2014 mehr als jeder Fünfte von einem Armutsrisiko betroffen. In Rumänien ist es sogar jeder Vierte. Am geringsten ist das Armutsrisiko in der Tschechischen Republik, nur jeder Zehnte ist dort im Jahr 2014 betroffen […].

H5P-Element „Armutsrisikoquoten in Europa vor (2006) und nach der Finanzkrise (2014)“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Während die Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrise auch in Deutschland einige volkswirtschaftliche Schäden mit sich brachte, von denen man sich aber relativ schnell wieder erholte, wirkte sich die Krise in vielen EU-Staaten wesentlich verheerender aus. Die Staaten der EU entwickelten sich sehr heterogen im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft, die Wettbewerbsfähigkeit und den Arbeitsmarkt. Das vor der Einführung des Euro als gemeinsame Währung häufig genutzte Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, die Abwertung der eigenen Währung, war keine Option mehr für die Mitgliedsstaaten der Eurozone. Somit hatten die Bankenrettung und die Vermeidung von Staatsbankrotten oberste Priorität gegenüber konjunkturpolitischen Maßnahmen für Wirtschaft, Beschäftigung, Infrastruktur und Bildung. Die Muster der Krisenbewältigung innerhalb der Mitgliedstaaten der EU ähnelten einander sehr: Lohnsenkungen, Beschäftigungsabbau, insbesondere im Öffentlichen Dienst, Kürzungen von Renten- und Sozialleistungen, Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitssektor, Einschränkungen im Arbeitsrecht und Privatisierungen in großem Umfang. Viele EU-Staaten haben Steuern erhöht und private wie öffentliche Investitionen zurückgefahren sowie Strukturreformen am Arbeitsmarkt vorgesehen.

Im Ergebnis herrschte Anfang 2014 vor allem in Südeuropa die höchste Arbeitslosigkeit seit Einführung des Euro. Nach Informationen der europäischen Statistikbehörde Eurostat waren 2014 in der gesamten EU etwa 27 Millionen Menschen ohne Arbeit. Somit lag die durchschnittliche Erwerbslosenquote der EU bei 10,2 %. Spanien und Griechenland befinden sich hierbei mit Quoten von 24,5 % bzw. 26,5 % an der Spitze. Die Erwerbslosenquote der Jugendlichen lag in Spanien sogar bei 53,2 % und in Griechenland bei 52,4 %. Obwohl Griechenland Milliarden an Hilfsgeldern erhielt, schrumpfte die Wirtschaft weiter und Reformen sind politisch weiterhin umkämpft. Durch den Einbruch der Konjunktur hat sich die Erwerbslosenquote seit Beginn der Krise stark erhöht. Viele Experten gehen davon aus, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis diese Quote wieder dauerhaft unter 10 % sinkt. Besonders Jugendliche leiden unter Arbeitslosigkeit infolge der Banken- und Finanzkrise. Insgesamt ist fast ein Viertel der europäischen Jugend ohne Arbeit. Sie werden häufig auch als NEETs bezeichnet (Not in Education, Employment or Training). Sie befinden sich also weder in Ausbildung oder Schulung, noch gehen sie einer Arbeit nach. Laut der Europäischen Union hat sich die Langzeiterwerbslosigkeit in der EU seit Krisenbeginn 2008 bis 2014 fast verdoppelt. Weltweit waren nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 30 Millionen Menschen mehr arbeitslos als vor der Banken- und Finanzkrise.[…]“

Gekürzte Fassung des Textes: Tim Obermeier, Jürgen Kühl für bpb.de: Armutsfolgen der Banken- und Finanzkrise, CC BY-NC-SA 4.0 DE. Der Originalbeitrag ist auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung leider nicht mehr verfügbar.

Der Text „Rechts gewinnt“ von Elisa Simantke für fluter.de / Bundeszentrale für politische Bildung ist lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0.

Der Text „Armutsfolgen der Banken- und Finanzkrise“ von Tim Obermeier, Jürgen Kühl für bpb.de ist lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0. Der Text ist auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung nicht mehr verfügbar.

Das Video „Rechtspopulismus, was ist das? Kurz erklärt auf bpb.de“ von Bundeszentrale für politische Bildung bpb für bpb.de ist lizenziert unter CC BY-NC-ND 3.0.

Das Video „Spanien: Auf die Straße gesetzt | Europa Aktuell“ von © DW Deutsch ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht und wird von youtube.com eingebettet.

H5P-Element „Armutsrisikoquoten in Europa vor (2006) und nach der Finanzkrise (2014)“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Agamotto“ steht unter einer MIT-Lizenz.