Das Wachstum des Pro-Kopf-BIP wird von vielen als zentraler Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung und erstrebenswertes Ziel der Wirtschaftspolitik angesehen. Aber wessen Lebensrealität spiegelt das Wachstum des Pro-Kopf-BIP eigentlich am ehesten wieder – die von eher ärmeren oder reicheren Haushalten? Und welche alternativen Wege gibt es, die Entwicklung der Einkommen zu beschreiben?

#Ökonomie für Expertinnen

„Geld ist nicht alles. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und sucht aktuell nach neuen Wegen, um Wohlstand jenseits des reinen Wirtschaftswachstums zu messen. Dabei sollen soziale und ökologische Faktoren stärker in den Vordergrund rücken. Dies ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, um eine umfassendere Darstellung des Lebensstandards und der Lebensqualität zu ermöglichen.

Trotzdem spielen wirtschaftliche Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf weiterhin eine zentrale Rolle bei der Beurteilung des allgemeinen Wohlstands. Und das aus gutem Grund: Die materiellen Grundlagen, die durch diese Kennzahlen abgebildet werden, sind nach wie vor ein ganz zentraler Aspekt des Lebensstandards.

[…] Doch so informativ diese Durchschnittszahlen auch sein mögen – sie haben eine zentrale Schwäche: Sie erfassen die Einkommenssituation in einer Weise, die den Einkommen der wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen eine überproportionale Bedeutung zuweist.

Mathematisch gesehen ist etwa das Wachstum des BIP pro Kopf – die klassische Kennzahl jeder Wirtschaftsberichterstattung – ein gewichteter Durchschnitt, in dem die Einkommenssteigerungen der Wohlhabenden stärker berücksichtigt werden. Diese Kennzahl gibt Auskunft über das Wachstum des durchschnittlichen Einkommens und nicht über das Wachstum des Einkommens einer durchschnittlichen Person.

Diese Form der Gewichtung ist allerdings keineswegs unvermeidlich, sondern entspringt den normativen Annahmen, die der Interpretation des BIP als Messgröße typischerweise zugrunde gelegt werden. Ein auf alternativen Annahmen basierender Indikator für die Entwicklung der durchschnittlichen Einkommen könnte beispielsweise jede Person gleichberechtigt einbeziehen oder sogar Menschen mit niedrigerem Einkommen – die stärker von Einkommenszuwächsen abhängig sind, um einen gewissen Lebensstandard zu sichern – stärker berücksichtigen.

Auf die Gewichtung kommt es an

Ein einfaches Zahlenbeispiel soll drei Varianten einer solchen Maßzahl veranschaulichen. Die folgende Tabelle zeigt die hypothetische Einkommensentwicklung aller Einwohnerinnen […] [eines Landes]. Aus Gründen der Einfachheit beschränken wir uns hier auf vier Personen, doch die nachfolgenden Berechnungsmethoden wären identisch, selbst wenn sie auf 84 Millionen Menschen angewendet würden.

Name Einkommen im letzten Jahr (Jahr 0) Einkommen in diesem Jahr (Jahr 1) Wachstumsrate
Anna (A) A0=10.000 A1=16.000 \(\frac{16.000-10.000}{10.000}×100=60\%\)
Bernd (B) C0=2.000 B1=1.600 \(\frac{1.600-2.000}{2000}×100=-20\%\)
Carla (C) C0=2.000 C1=1.600 \(\frac{1.600-2.000}{2000}×100=-20\%\)
Daniel (D) D0=2.000 D1=1.600 \(\frac{1.600-2.000}{2000}×100=-20\%\)
Summe (= BIP) 16.000 20.800 \(\frac{20.800-16.000}{16.000}×100=30\%\)

Hinweis: Bisher hast du die Berechnung von Wachstumsraten nur auf der Ebene des gesamten BIP oder einzelner Bestandteile der Nachfrageseite kennengelernt. Ersteres haben wir in der unteren Zeile der Tabelle ergänzt, um an dein Vorwissen anzuknüpfen. In dieser Zeile wurden die Einkommen aller Mitglieder dieser „Vier-Personen-Volkswirtschaft“ addiert, was das gesamte BIP ergeben würde (erinnere Dich daran, dass das BIP der Verteilungsseite genauso groß wie das BIP der Entstehungsseite und der Verwendungsseite ist). Die Wachstumsraten der Einkommen der einzelnen Personen lassen sich mit Hilfe derselben Formel errechnen. Du siehst hier auch, dass das Wachstum der einzelnen Einkommen und das Wachstum des Gesamt-BIP deutlich auseinander fallen können.

Angenommen, Ihnen wird die Aufgabe übertragen, einen Indikator zu berechnen, der die durchschnittliche Entwicklung der Einkommen in einer aussagekräftigen und fairen Weise darstellt. Wie würden Sie die verschiedenen Einkommensveränderungen gewichten?

Demokratischer Durchschnitt: Eine Person, eine Stimme

Auf den ersten Blick könnte die Frage trivial erscheinen. Ein intuitiver Ansatz wäre, den Durchschnitt der individuellen Wachstumsraten zu berechnen:

\(\frac{60\%-20\%-20\%-20\%}{4}=0\%\)

\(\frac{60\%-20\%-20\%-20\%}{4}=0\%\)

[Dies ist nichts anderes, als die Wachstumsraten aller Einkommen identisch zu gewichten:]

\(\frac{1}{4}×60\%+\frac{1}{4}×(-20\%)+\frac{1}{4}×(-20\%)+\frac{1}{4}×(-20\%)=0\%\)

\(=15\%-5\%-5\%-5\%=0\%\)

\(\frac{1}{4}×60\%+\frac{1}{4}×(-20\%)+\frac{1}{4}×(-20\%)+\frac{1}{4}×(-20\%)=0\%\)

\(=15\%-5\%-5\%-5\%=0\%\)

Dieser Wert von 0 Prozent zeigt, dass die Einkommen im Durchschnitt weder gestiegen noch gesunken sind. Die hohe Wachstumsrate von Anna gleicht die negativen Wachstumsraten von Bernd, Carla und Daniel aus.

In diesem Verfahren fließen die Wachstumsraten aller Personen also gleichberechtigt in die Berechnung des Durchschnitts ein. Dies spiegelt das demokratische Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ wider, weshalb man dieses Verfahren als nach Adamou, Berman und Peters als „Demokratischen Durchschnitt“ bezeichnen kann. Dabei ist zu beachten, dass das Berechnungsverfahren auf der normativen Entscheidung basiert, alle individuellen Wachstumsraten gleichwertig in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen – anstelle der Wachstumsrate des durchschnittlichen Einkommens zählt hier die durchschnittliche Wachstumsrate der Einkommen.

Egalitärer Durchschnitt: Geringe Einkommen stärker berücksichtigen

In diesem Zusammenhang lässt sich argumentieren, dass der „Demokratische Durchschnitt“ die realen Lebensstandards nur unzureichend abbildet, da die hohe Ungleichheit in den Daten nicht berücksichtigt wird. Eine Reduzierung des Einkommens hat umso gravierendere Auswirkungen auf den Lebensstandard, je geringer das ursprüngliche Einkommen ist. [Oder umgekehrt: Die Auswirkungen eines wachsenden Einkommens sind um so positiver zu bewerten, je geringer das ursprüngliche Einkommen war.] Um diesen Aspekt zu berücksichtigen, kann die Wachstumsrate der Personen mit dem niedrigsten Einkommen stärker in die Durchschnittsberechnung einbezogen werden. Wir bezeichnen dieses Vorgehen als „Egalitären Durchschnitt“. Gewichtet man die Wachstumsraten indirekt proportional zum Einkommen1 [d. h., je höher der Anteil des Einkommens der Person an den Gesamteinkommen im letzten Jahr, um so niedriger die Gewichtung – und umgekehrt] ergibt sich folgender Wert für den Durchschnitt:

\(\frac{1}{16}×60\%+\frac{5}{16}×(-20\%)+\frac{5}{16}×(-20\%)+\frac{5}{16}×(-20\%)=-15\%\)

\(\frac{1}{16}×60\%+\frac{5}{16}×(-20\%)+\frac{5}{16}×(-20\%)+\frac{5}{16}×(-20\%)\\=-15\%\)

Gemäß dem „Egalitären Durchschnitt“ sind die Einkommen durchschnittlich um 15 Prozent gesunken. Dieser Indikator repräsentiert die tatsächliche Einkommensentwicklung von Personen mit niedrigerem Einkommen – in diesem Fall Bernd, Carla und Daniel – deutlich präziser als der „Demokratische Durchschnitt“. Allerdings spiegelt er die positive Einkommensentwicklung von Personen mit höherem Einkommen, wie Anna, kaum wider.

Plutokratischer Durchschnitt: Ein Euro, eine Stimme

Statt die Ärmsten wie beim „Egalitären Durchschnitt“ stärker in der Durchschnittsberechnung zu berücksichtigen, kann man argumentieren, dass Personen mit hohem Einkommen eine besonders tragende Rolle in der Wirtschaft spielen und daher in der Berechnung stärker reflektiert werden sollten. Dies führt uns zu einer dritten Methode, die in Anlehnung an den Ungleichheitsforscher Branco Milanović als „Plutokratischer Durchschnitt“ bezeichnet werden kann.

Bei dieser Methode werden die Wachstumsraten entsprechend der Höhe der Einkommen gewichtet2 [d. h., , je höher der Anteil des Einkommens der Person an den Gesamteinkommen im letzten Jahr, um so höher die Gewichtung – und umgekehrt]. Für unser Beispiel ergibt sich folgender Wert:

\(\frac{5}{8}×60\%+\frac{1}{8}×(-20\%)+\frac{1}{8}×(-20\%)+\frac{1}{8}×(-20\%)=30\%\)

\(\frac{5}{8}×60\%+\frac{1}{8}×(-20\%)+\frac{1}{8}×(-20\%)+\frac{1}{8}×(-20\%)\\=30\%\)

Der „Plutokratische Durchschnitt“ zeigt einen Anstieg der durchschnittlichen Einkommen um 30 Prozent. Diese Maßzahl spiegelt die Realität von Bernd, Carla und Daniel, den Personen mit niedrigerem Einkommen, kaum wider und wird vor allem durch die Einkommensentwicklung von Anna dominiert, also der Person mit dem höchsten Einkommen.

Wessen Lebensrealität wird abgebildet?

Jedes dieser drei Verfahren stellt auf seine Art einen plausiblen Weg zur Darstellung der durchschnittlichen Einkommensentwicklung dar. Doch welches Verfahren die treffendste Aussagekraft hat, hängt schlussendlich von individuellen normativen Präferenzen ab:

Der „Demokratische Durchschnitt“ verleiht jedem Individuum die gleiche Bedeutung, während der „Egalitäre Durchschnitt“ eine stärkere Berücksichtigung der ärmeren Bevölkerung vorsieht und der „Plutokratische Durchschnitt“ die Wachstumsraten der Reichen stärker gewichtet.

Welches Verfahren am besten als Maßstab für die durchschnittliche Entwicklung der Einkommen geeignet ist, führt letztendlich zur zentralen Frage: Wessen Lebensrealität soll abgebildet werden?

Das Bruttoinlandsprodukt entspricht dem plutokratischen Durchschnitt

Als Gesellschaft haben wir diese Frage – oft ohne uns dessen bewusst zu sein – durch die Wahl des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf als zentralen Wohlstandsindikator beantwortet. Das BIP pro Kopf spiegelt vorrangig die Lebensrealität der Reichen wider, da es faktisch dem plutokratischen Ansatz entspricht.

Auf den ersten Blick mag dies nicht offensichtlich erscheinen, da das BIP pro Kopf in der Praxis nicht direkt aus individuellen Wachstumsraten abgeleitet wird, sondern sich aus der Summe aller Einkommen (BIP) geteilt durch die Anzahl der Personen ergibt. Das BIP pro Kopf beträgt in unserem Zahlenbeispiel für das vorangegangen Jahr 4.000 Euro. Für das aktuelle Jahr beträgt das Pro-Kopf-Einkommen 5.200 Euro. Aus diesen Werten kann man die Wachstumsrate berechnen:

Pro-Kopf-Einkommen im letzten Jahr Pro-Kopf-Einkommen in diesem Jahr Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens
\(\frac{10.000+2.000+2.000+2.000}{4}=4.000\) \(\frac{16.000+1.600+1.600+1.600}{4}=5.200\) \(\frac{5.200-4.000}{4.000}×100=30\%\)

Das Wachstum des BIP pro Einwohner um 30% entspricht [nicht nur dem Wachstum des Gesamt-BIP (s. o.), sondern auch] genau dem Ergebnis des Plutokratischen Durchschnitts. Und dies ist kein Zufall. Das Wachstum des BIP pro Kopf ist lediglich ein anderer Rechenweg für den Plutokratischen Durchschnitt, ist aber mathematisch identisch.3

Der Zusammenhang wird deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass das BIP nicht davon abhängt, wer die Einkommen erhält. Wenn das Einkommen einer reichen Person um 10% steigt, hat dies einen deutlich stärkeren Einfluss auf das BIP als der gleiche prozentuale Anstieg des Einkommens einer ärmeren Person (10 % eines hohen Einkommens sind eben mehr als 10 % eines niedrigen Einkommens). Das BIP basiert auf dem plutokratischen Prinzip „Ein Euro, eine Stimme“ und nicht auf dem demokratischen Ansatz „Eine Person, eine Stimme“.

Eine solche Gewichtung hat Auswirkungen für die Interpretation des BIP als Indikator für Wohlstand – der daher nicht notwendigerweise repräsentativ für die durchschnittliche Situation der Bevölkerung ist. Der Indikator neigt dazu, die finanziellen Verhältnisse der Reichen stärker zu reflektieren, während die Lebensumstände der weniger Begünstigten nur marginal einfließen. Selbst hohe Einkommensverluste bei Personen mit geringen Einkommen haben kaum einen Einfluss auf das BIP.

In der Praxis bedeutet dies auch, dass bei steigender Ungleichheit – definiert als eine Situation, in der die oberen Einkommen durchschnittlich schneller wachsen – die gemessenen BIP-Wachstumsraten im „Plutokratischen Durchschnitt“ höher ausfallen, während, umgekehrt, bei Verwendung eines Demokratischen oder „Egalitären Durchschnitts“ höhere Wachstumsraten dann erreicht werden, wenn die Ungleichheit zurückgeht.

Alternative Indikatoren

Diese Problematik beschränkt sich nicht nur auf das BIP pro Kopf. Auch andere Pro-Kopf-Durchschnittswerte, wie die Reallöhne pro Kopf oder die verfügbaren Einkommen pro Kopf, tendieren dazu, vor allem die Einkommensentwicklung der oberen Einkommensschichten widerzuspiegeln.

Ungleichheitsforscher schlagen daher vor, neben dem Bruttoinlandsprodukt auch den „Demokratischen Durchschnitt“ als politische Messgröße zu etablieren. […][D]ie kombinierte Nutzung aller drei Durchschnittswerte [bietet] eine Vielzahl an Vorteilen. Sie liefern wichtige und doch unterschiedliche Informationen über den Zustand der Wirtschaft, da sie verschiedene Bereiche der Einkommensverteilung in den Mittelpunkt stellen.

Aktuell beschränkt sich die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht auf die Veröffentlichung des „Plutokratischen Durchschnitts“ (und zwar nicht nur beim BIP, sondern auch bei den verfügbaren Einkommen und den Reallöhnen). Weder der Demokratische noch der „Egalitäre Durchschnitt“ finden Berücksichtigung, da dem Statistischen Bundesamt detaillierte Daten zur Einkommensverteilung […] fehlen. Allerdings können diese Kennzahlen relativ einfach geschätzt werden, in dem man bereits vorhandene, umfangreiche Daten zur Einkommensverteilung nutzt, wie sie etwa in der World Inequality Database (WID) zu finden sind.

Die Ergebnisse einer solchen Schätzung sind in den folgenden Grafiken dargestellt. Sie illustriert die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der preisbereinigten verfügbaren Einkommen für jedes Einkommensperzentil in Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 2021 [wenn du noch nicht weißt, was ein Perzentil ist, kannst du das in diesem Lernabschnitt erfahren]. Dabei zeigt sich ein klares Muster: Je höher das Einkommen, desto höher sind in der Regel auch die Wachstumsraten. Im unteren Viertel der Einkommensverteilung sind die realen Einkommen im Mittel sogar gesunken.

Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der preisbereinigten verfügbaren Einkommen der Einkommensperzentile (Deutschland, 1991–2021)

Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der preisbereinigten verfügbaren Einkommen der Einkommensperzentile (Deutschland, 1991–2021) von Jonas Schulte, CC BY 4.0. Quelle der Daten: WID, eigene Berechnungen.

Diese Tendenz spiegelt sich auch in den drei verschiedenen Durchschnittswerten wider. Der „Plutokratische Durchschnitt“ mit einem jährlichen Wachstum von etwa 0,7 % wird lediglich von einer Minderheit im oberen Bereich der Einkommensverteilung erreicht. Aus diesem Grund sind Pro-Kopf-Indikatoren wie das BIP pro Kopf als Maßstäbe für den durchschnittlichen Wohlstand ungeeignet. Das BIP sollte daher vielmehr für den Zweck genutzt werden, für den es ursprünglich entwickelt wurde: als Indikator für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft und der nationalen Produktionskapazitäten.

Die durchschnittliche Einkommensentwicklung wird vom „Demokratischen Durchschnitt“ viel besser erfasst. Der Wert entspricht in etwa der Einkommensentwicklung des Medians. Er beschreibt die Einkommensveränderung einer hypothetischen Person, die im Laufe eines Jahres die Einkommensveränderungen aller Menschen in der Bevölkerung jeweils anteilig miterlebt. Aufgrund dieser Eigenschaft beschreibt der „Demokratische Durchschnitt“ viel besser, wie die Mehrheit der Bürger die wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Die Einkommen dieser hypothetischen Person stiegen in den letzten drei Jahrzehnten mit durchschnittlich 0,25 % pro Jahr deutlich langsamer als der „Plutokratische Durchschnitt“.

Der „Egalitäre Durchschnitt“ deutet sogar auf einen Rückgang der durchschnittlichen Einkommen hin. In der egalitären Gewichtung sind die Einkommen jährlich im Schnitt um 0,2 % gesunken. Dies ist insbesondere auf die starken Einkommensverluste in den unteren Einkommensgruppen zurückzuführen. […]

Ein ganzheitlicher Blick auf den Wohlstand

Angesichts wachsender Ungleichheit erweist sich der „Plutokratische Durchschnitt“, wie etwa das BIP pro Kopf, als immer weniger geeignet für die Darstellung der realen Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen. Das BIP pro Kopf war nie dafür ausgelegt, vielschichtige Aspekte des Wohlstands wie Gesundheit oder Umweltschutz zu erfassen. Doch selbst bei seiner Kernfunktion – der Abbildung der durchschnittlichen wirtschaftlichen Situation – zeigt es gravierende Mängel. Es spiegelt hauptsächlich die wirtschaftliche Situation der Wohlhabenden wider und ist daher als universeller Indikator für Wohlstand zunehmend ungeeignet.

Erst in Kombination mit dem „Demokratischen“ und dem „Egalitären Durchschnitt“ ergibt sich ein differenzierteres und realitätsnäheres Bild der wirtschaftlichen Lagen der Bürgerinnen und Bürger. Während der „Demokratische Durchschnitt“ eine genauere Einschätzung der Einkommensentwicklung der breiten Bevölkerung liefert, konzentriert sich der „Egalitäre Durchschnitt“ – spiegelbildlich zum „Plutokratischen Durchschnitt“ – auf die finanziellen Verhältnisse der einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen. Nur so kann die wirtschaftliche Realität aller Bürgerinnen und Bürger in ihrer vollen Komplexität erfasst werden – und nicht nur den Wohlstand an der Spitze.“

Gekürzte und leicht überarbeitete Version des Textes Das Bruttoinlandsprodukt: Ein Spiegelbild der Reichen? von Jonas Schulte, ifsoblog.de, 17.08.2023, CC BY 4.0.

1 Die Gewichtung wird zum Beispiel für das Einkommen von Anna durch die folgende Formel berechnet (wobei „A“ für das Einkommen von Anna steht, „B“ für das von Bernd usw.):

\(\frac{\frac{1}{A_{0}}}{\frac{1}{A_{0}}+\frac{1}{B_{0}}+\frac{1}{C_{0}}+\frac{1}{D_{0}}}=\frac{\frac{1}{10.000}}{\frac{1}{10.000}+\frac{1}{2.000}+\frac{1}{2.000}+\frac{1}{2.000}}=\frac{1}{16}\)

Die Gewichtungen der Einkommen der anderen Personen ergeben sich entsprechend. Beachte, dass nicht die absoluten Höhen der Einkommen für die Gewichtung entscheidend sind, sondern die relativen Einkommensanteile. Wären beispielsweise alle Einkommen um den Faktor 2 größer, wäre die Gewichtung dennoch gleich.

2 Die Gewichtung wird zum Beispiel für das Einkommen von Anna durch die folgende Formel berechnet (wobei „A“ für das Einkommen von Anna steht, „B“ für das von Bernd usw.):

\(=\frac{A_{0}}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}=\frac{10.000}{10.000+2.000+2.000+2.000}=\frac{5}{8}\)

Die Gewichtungen der Einkommen der anderen Personen ergeben sich entsprechend. Beachte, dass nicht die absoluten Höhen der Einkommen für die Gewichtung entscheidend sind, sondern die relativen Einkommensanteile. Wären beispielsweise alle Einkommen um den Faktor 2 größer, wäre die Gewichtung dennoch gleich.

3 Mathematisch betrachtet bedeutet das :

\(\frac{(A_{1}+B_{1}+C_{1}+D_{1})-(A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0})}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}\)

\(=\frac{A_{0}}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}×\frac{A_{1}-A_{0}}{A_{0}}+\frac{B_{0}}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}×\frac{B_{1}-B_{0}}{B_{0}}+\frac{C_{0}}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}×\frac{C_{1}-C_{0}}{C_{0}}+\frac{D_{0}}{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}×\frac{D_{1}-D_{0}}{D_{0}}\)

\(=\frac{\frac{A_{1}+B_{1}+C_{1}+D_{1}}{4}-\frac{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}{4}}{\frac{A_{0}+B_{0}+C_{0}+D_{0}}{4}}\)

Der Text im Lernabschnitt „Ökonomie für Expertinnen: Das BIP-Wachstum – ein Zerrbild?“ ist eine gekürzte und leicht überarbeitete Fassung des Textes „Das Bruttoinlandsprodukt: Ein Spiegelbild der Reichen?“ von Jonas Schulte, ifsoblog, 17.08.2023 und lizenziert unter CC BY 4.0.

Die Abbildung „Drei Durchschnitte“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Die Abbildung „Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der preisbereinigten verfügbaren Einkommen der Einkommensperzentile (Deutschland, 1991–2021)“ von Jonas Schulte ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: WID, eigene Berechnungen