Das BIP lässt sich von drei Seiten betrachten: von der Produktionsseite, von der Nachfrageseite und von der Verteilungsseite. Metaphorisch gesprochen, wird der Kuchen gebacken (also produziert), für verschiedene Zwecke verwendet (also nachgefragt) und in mehr oder weniger große Stücke geschnitten (also verteilt). Die Höhe des BIP (die Größe des Kuchens) ist dabei immer identisch. Der folgende Abschnitt widmet sich der Produktionsseite.

#VGR

Die Betrachtung der Produktionsseite befasst sich damit, wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) produziert wird (das heißt, wie der Kuchen gebacken wird). Sie wird auch Entstehungsseite (weil die Entstehung des Kuchens betrachtet wird) oder Angebotsseite (weil das Angebot der Unternehmen betrachtet wird) genannt.

„In der einfachsten Variante besagt die angebotsseitige Betrachtung des BIP, die auch als Entstehungsrechnung bezeichnet wird, dass für die Herstellung aller Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums zwei Faktoren entscheidend sind: Die Arbeitsproduktivität (= BIP pro gearbeiteter Stunde) und die Anzahl der gearbeiteten Stunden, also:“1

\(\text{BIP}^\text{A} = \frac{\text{BIP}}{\text{h}}×\text{h}\)

BIPA = Bruttoinlandsprodukt (Angebotsseite)

\(\frac{\text{BIP}}{\text{h}}\) = Arbeitsproduktivität

h = gearbeitete Stunden

Was besagt diese Rechnung? Stellen wir uns zwei Volkswirtschaften vor, in denen gleich viele Menschen leben, die gleich viel arbeiten, die aber durch unterschiedliche Produktivitätsniveaus gekennzeichnet sind. Dies kann daran liegen, dass in einer Volkswirtschaft die arbeitenden Personen über eine bessere Ausbildung oder bessere technische Hilfsmittel für die Produktion (Maschinen, Computer, Software etc.) verfügen. In der Volkswirtschaft mit höherer Produktivität können folglich mit der gleichen Arbeitszeit mehr bzw. bessere Güter und Dienstleistungen hergestellt werden: das BIP ist größer, obwohl die selbe Anzahl an Menschen die selbe Anzahl an Stunden arbeitet. Eine andere Möglichkeit, den Produktivitätsvorsprung zu nutzen, bestünde darin, dass die produktivere Volkswirtschaft gleich viele bzw. gleich gute Güter und Dienstleistungen wie die weniger produktive Volkswirtschaft herstellt, dafür aber den arbeitenden Personen mehr Freizeit ermöglicht.

„Auf ähnliche Weise kann ein Bäcker, der über eine bessere Ausbildung, bessere Zutaten und bessere Küchengeräte verfügt, in gleich vielen Arbeitsstunden einen größeren oder besseren Kuchen backen als ein Bäcker mit schlechteren Qualifikation bzw. technischer Ausstattung. Anders gesagt: Wenn beide einen gleich großen und gleich guten Kuchen backen, kann der produktivere Bäcker früher Feierabend machen.“1

Aus ökologischer Perspektive stellt sich folgende Frage: Führt die weltweite Produktion bald dazu, dass der damit verbundene Ressourcenverbrauch zu dramatischen und irreparablen Umweltschäden führt?

Die Angebotsseite des BIP im Jahr 2022

Die Tabelle unten zeigt Informationen zur Produktionsseite des BIP im Jahr 2022 in verschiedenen Ländern Europas. Einige Werte fehlen allerdings. Mithilfe der Formeln, die du bisher kennengelernt hast, kannst du diese Werte ergänzen. Trage dazu die Ergebnisse zur Überprüfung in den Lückentext ein. Du kannst die Berechnung direkt im Tabellenblatt vornehmen. Wenn du zum Beispiel Zelle „B2“ mit Zelle „B5“ multiplizieren möchten, kannst Du in eine leere Zelle eingeben: „= B2 * B5“. Das Ergebnis wird dann in der leeren Zelle berechnet.

H5P-Element „Entstehung des BIP im Jahr 2022“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element und am Ende des Lernabschnitts.

Angebotsseite des BIP und sektorale Struktur

Oben haben wir eine einfache Möglichkeit kennengelernt, sich dem BIP von der Produktionsseite zu nähern. Nun wird eine weitere Variante vorgestellt. Diese ermöglicht, sich eine Vorstellung von der wirtschaftlichen Struktur eines Landes zu machen. Eine besondere Rolle spielen dabei die drei Sektoren, in welche Statistikerinnen die Wirtschaft üblicherweise unterteilen.

Wenn man errechnen möchte, wie groß der gesamtwirtschaftliche Kuchen in einem bestimmten Zeitraum und Gebiet war, liegt es nahe, sich die Unternehmen dieses Gebietes anzuschauen. Schließlich wurden von ihnen die meisten der Produkte und Dienstleitungen hergestellt und verkauft, aus denen der Kuchen besteht. Addiert man den Wert aller hergestellten und verkauften Waren und Dienstleistungen aller Unternehmen (sowie die staatlichen Waren und Dienstleistungen), erhält man den sogenannten Produktionswert.

Dieser ist allerdings nicht mit dem BIP identisch. Zunächst müssen vom Produktionswert die sogenannten „Vorleistungen“ abgezogen werden. Was hat es damit auf sich? Wenn du dir den Stuhl anschaust, auf dem du sitzt, wirst du feststellen, dass er durch einige Schrauben zusammengehalten wird. Wahrscheinlich hat die Herstellerin des Stuhls diese Schrauben nicht selbst angefertigt, sondern sie von einer Schraubenherstellerin gekauft. Letztendlich bezahlt die Käuferin des Stuhls auch die Kosten für die Schrauben, die den Stuhl zusammenhalten. Diese Kosten sind im Preis des Stuhls enthalten. Würde man nun einfach den Wert aller verkauften Stühle eines Jahres bei der Stuhlproduzentin erfragen, dann den Wert aller verkauften Schrauben bei der Schraubenproduzentin in Erfahrung bringen, und dann diese beiden Werte zusammenrechnen, kämen im Ergebnis die Schrauben doppelt vor. Daher zieht man vom Preis eines Stuhles zunächst die Kosten ab, die für alle Vorleistungen (also z. B. die Schrauben, aber möglicherweise auch den Lack usw.) angefallen sind. So erhält man die Bruttowertschöpfung. Berücksichtigt man jetzt noch an den Staat gezahlte Steuern und vom Staat gezahlte Gütersubventionen, hat man das BIP errechnet.

Ableitung des Bruttoinlandsprodukts in jeweiligen Preisen (in Mrd. Euro)

Jahr 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022
Produktionswert 5744,5 6015,5 6239,8 6408,0 6272,3 6745,9 7506,9
– Vorleistungen 2922,0 3071,5 3207,1 3278,2 3184,3 3487,4 4004,7
= Bruttowertschöpfung 2822,4 2944,1 3032,7 3130,6 3086,4 3276,4 3509,6
+ Gütersteuern 319,1 329,8 339,6 350,9 326,0 365,1 390,7
– Gütersubventionen 6,8 6,8 6,9 7,4 8,6 24,1 23,5
= Bruttoinlandsprodukt 3134,7 3267,2 3365,5 3474,1 3403,7 3617,5 3876,8

Ableitung des Bruttoinlandsprodukts in jeweiligen Preisen (in Mrd. Euro). Quelle der Daten: Statistisches Bundesamt.

Die Ermittlung des BIPs auf diesem Weg hat den Vorteil, dass alle möglichen Informationen über die wirtschaftliche Struktur des Landes ermittelt werden. Die Gesamtwirtschaft wird üblicherweise in drei Bereiche eingeteilt werden, die auch Sektoren genannt werden:

  • den primären Sektor. Hierzu gehören Landwirtschaft, Forst- und Fischereiwirtschaft.
  • den sekundären Sektor. Hierein fallen Industrie und Baugewerbe.
  • den tertiären Sektor. Zu diesem gehören alle möglichen Dienstleistungsbereiche, z. B. in der Gastronomie oder im Bereich Unterhaltung.

Statistikerinnen schauen dann beispielsweise darauf, welcher Sektor den größten Beitrag zum Kuchen liefert oder wo die meisten Personen beschäftigt sind.

H5P-Element „Die drei Sektoren in Bildern“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Die Bedeutung der drei Sektoren für eine Volkswirtschaft im Zeitverlauf (sogenannter Strukturwandel) hängt stark mit der Entwicklung der Arbeitsproduktivität zusammen. Im 19. Jahrhundert war die Arbeitsproduktivität gering, daher musste die Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sein, um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Noch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete rund ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland in der Landwirtschaft.

Durch Produktivitätssteigerungen war es jedoch möglich, die Bevölkerung mit immer weniger Beschäftigten in der Landwirtschaft zu ernähren. So kam es zum Strukturwandel hin zur Industriegesellschaft, die den Massenkonsum von industriell gefertigten Gütern (z. B. Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernseher) ermöglichte.

Mittlerweile ist die Arbeitsproduktivität in der Industrie so hoch, dass weniger als 30 Prozent der Beschäftigten im sekundären Sektor tätig sind, um die gesamte Industrieproduktion zu erbringen. Etwa 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten daher mittlerweile im Dienstleistungssektor.

Beschäftigungsanteile der drei Sektoren in Deutschland

Beschäftigungsanteile der drei Sektoren in Deutschland von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten: Rahlf, Thomas, (2015 [2015]) Zeitreihendatensatz für Deutschland, 1834-2012 GESIS Köln, Deutschland ZA8603 Datenfile.

1 Die gekennzeichneten Textstellen sind Ausschnitte aus: Till van Treeck für bpb.de: Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, CC BY-SA 4.0. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Der Text im Lernabschnitt „Wie der Kuchen entsteht: Die Produktionsseite“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY-SA 4.0. Enthält Ausschnitte aus dem Text von Till van Treeck für bpb.de „Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“, der ebenfalls unter CC BY-SA 4.0 veröffentlicht ist.

Die GeoGebra-Anwendung „Die Angebotsseite des BIP im Jahr 2022“ von Julian Becker, erzeugt mit GeoGebra ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Bitte beachten Sie außerdem die GeoGebra Lizenz. Quelle der Daten: AMECO-Datenbank der EU-Kommission.

H5P-Element: „Die Entstehung des BIP im Jahr 2022“. Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.Der H5P-Inhaltstyp „Fill the blanks“ steht unter einer MIT-Lizenz.

H5P-Element: „Die drei Sektoren in Bildern“. Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Image Slider“ steht unter einer MIT Lizenz.

Die Abbildung „Beschäftigungsanteile der drei Sektoren in Deutschland“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten: Rahlf, Thomas, (2015 [2015]) Zeitreihendatensatz für Deutschland, 1834-2012 GESIS Köln, Deutschland ZA8603 Datenfile.