Bearbeiteter Ausschnitt aus „growth“ von Mike Lawrence/CreditDebt Pro, CC BY 2.0, via flickr.com/CreditDebt Pro.

Schon eine niedrige Wachstumsrate hat – langfristig gesehen – erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft. Dies liegt an der „Logik des kumulativen Wachstums“. Die folgende Anwendung verdeutlicht diese Logik.

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Die folgende Anwendung zeigt die Entwicklung des realen Pro-Kopf-BIP (vertikale Achse) in einer ausgedachten Volkswirtschaft über einen Zeitraum von 100 Jahren (horizontale Achse). Am Anfang (Jahr 0) beträgt das BIP 100 Geldeinheiten. Die jährliche reale Wachstumsrate in Prozent kannst du mit dem Schieberegler bestimmen. Sie kann hier zwischen 0 und 4 Prozent liegen. Beachte, dass zur besseren Darstellung der Bildausschnitt immer gleich ist, die Skala an der vertikalen Achse sich aber ändert.

An der ersten gestrichelten Linie kannst du ablesen, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach 30 Jahren (eine Generation) ist, wenn dauerhaft die von dir gewählte jährliche Wachstumsrate vorliegen würde. An der zweiten gestrichelten Linie siehst du, wie sich das BIP nach 100 Jahren verändert hat.

Bei einer Wachstumsrate von beispielsweise knapp unter 2,4 Prozent verdoppelt sich die gesamte Wirtschaftsleistung bereits innerhalb einer Generation. Innerhalb von 100 Jahren ist die Wirtschaftsleistung dann auf über 1000 gewachsen, hat sich also mehr als verzehnfacht. Dies könnte bedeuten, dass den Menschen Waren und Dienstleistungen in einer zehnmal höheren Menge zur Verfügung stehen oder dass die Qualität der Waren und Dienstleistungen sich verbessert hat – oder beides.

Kritikerinnen des BIP weisen darauf hin, dass Wachstum auch dadurch entsteht, dass Dinge zum BIP zählen, die es vorher auch schon gab, die nur nicht auf Märkten gehandelt wurden. Dann erscheint die Zunahme der Wirtschaftsleistung größer, als sie eigentlich ist, weil nur in Preisen ausgedrückte Leistungen (auf dem Markt gehandelte) ins BIP einfließen können. Außerdem werden auch Dinge ins BIP gezählt, deren Nützlichkeit man kritisch beurteilen kann.

Eine historische Betrachtung

Doch hat eine solche mathematische Betrachtung überhaupt eine Bedeutung für die reale Welt? Ein so konstantes Wachstum, wie es hier angenommen wird, kommt in der Realität tatsächlich nicht vor. Vielmehr schwankt das Wirtschaftswachstum von Jahr zu Jahr teils erheblich.

Anderseits lässt sich mit dieser Abbildung gut ein langfristiger historischer Trend veranschaulichen: Setze dazu ein Häkchen bei „Das reale BIP Deutschlands 1900–2000“. Jeder der Punkte, die erscheinen, steht für ein Jahr seit dem Jahr 1900. Die Höhe des realen Pro-Kopf-BIP im Jahr 1900 wurde auf 100 gesetzt, alle weiteren BIP-Werte wurden dementsprechend angepasst (z. B. war das reale Pro-Kopf-BIP im Jahr 1959 ungefähr doppelt so groß wie das des Jahres 1900: Es hat daher hier den Wert 202).

Die Abbildung zeigt: Die historische Entwicklung verlief nicht exakt entlang der grauen Kurve. So haben beispielsweise zwei Weltkriege (1914–1918, 1939–1945) und eine weltweite Wirtschaftskrise (1930er Jahre) tiefe Spuren hinterlassen. Andererseits: Nach einer turbulenten ersten Hälfte im 20. Jahrhundert hat sich das reale Pro-Kopf-BIP in Deutschland wieder an die Linie heranbewegt, die einem durchschnittlichen Wachstum von etwas unter zwei Prozent entspricht.

Der Text im Lernabschnitt „Ökonomie für Expertinnen: Die Logik des kumulativen Wachstums“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Die GeoGebra-Anwendung „Die Logik des kumulativen Wachstums“ von Julian Becker, erzeugt mit GeoGebra ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Bitte beachten Sie außerdem die GeoGebra Lizenz. Quelle der Daten (reales BIP pro Kopf): Òscar Jordà, Moritz Schularick, and Alan M. Taylor. 2017. Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts. In NBER Macroeconomics Annual 2016, volume 31, edited by Martin Eichenbaum and Jonathan A. Parker. Chicago: University of Chicago Press. Diese Datenbank ist lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0.