Bearbeiteter Ausschnitt aus „Umleitung“ von Ralf Kothe, CC BY 2.0, via flickr.com.

Die EZB steht vor einer Herausforderung: Ihr wichtigstes Ziel lautet, mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen. Doch das kann sie gewissermaßen nur über Umwege erreichen: Schließlich legt die EZB weder die Preise für die Güter und Dienstleistungen fest, noch die Höhe der gezahlten Löhne, die ebenfalls für die Entwicklung des Preisniveaus bedeutsam sind. Wie sieht dieser Umweg also aus?

Die EZB steht vor einer Herausforderung: Sie hat sich ein Ziel gesetzt, dass sie nur über Umwege erreichen kann. Ihr vorrangiges Ziel lautet, mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen. Allerdings legt die EZB nicht die Preise für die Güter und Dienstleistungen fest – das machen die Unternehmen. Die EZB kann auch nicht bestimmen, wie hoch die Löhne sind, die gezahlt werden, die ja zu Inflations- oder Deflationstreiberinnen werden können. Diese werden u. a. von den  Tarifparteien – also Arbeitgeberinnenverbänden und Gewerkschaften – ausgehandelt.

Stattdessen versucht die Zentralbank unter anderem, Einfluss auf die (zukünftige) Kreditvergabe der Geschäftsbanken (bzw. die Kredit- und Konsumnachfrage der Nicht-Banken) zu nehmen, um so die Konsum- und Investitionsnachfrage der Haushalte und Unternehmen zu beeinflussen, die wiederum Auswirkung auf die Entwicklung des Preisniveaus hat.

Da der Umfang der Kreditvergabe abhängig von der Höhe der Zinsen ist, die für einen Kredit gezahlt werden müssen, ist dies die Stellschraube, die die EZB im Blick hat. Allerdings kann die EZB den Geschäftsbanken nicht direkt vorschreiben, wie viele Kredite sie zu welchen Konditionen vergeben sollen. Sie kann ihnen auch nicht befehlen, wie hoch die Zinsen sein müssen, die sie von ihren Kundinnen (also Unternehmen oder Haushalte) nehmen. Aber die Zentralbank ist schließlich die „Bank der Banken“, das heißt: Sie kann versuchen, die Höhe der Zinsen zu beeinflussen, welche die Banken wiederum selber zahlen müssen, um sich mit Reserven (=Zentralbankgeld) zu versorgen. Die Höhe dieser Zinsen wiederum kann die EZB auch nicht einfach so bestimmen, sondern sie ergibt sich am Interbankenmarkt – dem Markt, an dem sich die Banken gegenseitig Reserven leihen. Hier tritt nun auch die Zentralbank als Akteurin auf und stellt selber Kredite zur Verfügung, mit denen die Banken ihren Bedarf an Reserven decken können. Der Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei einer Zentralbank Geld beschaffen oder anlegen können, nennt man „Leitzins“. Über ihn versucht die Zentralbank also, gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Preisniveau zu beeinflussen.

Aber wie genau sehen die Wirkungskanäle aus, von den die Zentralbank ausgeht? Diese zeigt das folgende Schaubild.

H5P-Element „Wirkungszusammenhänge bei Leitzinsänderungen“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Keine Medizin ohne Nebenwirkungen

„Eine Zinserhöhung bremst die Preisentwicklung also vor allem darüber, dass sie über verschiedene Wege die gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduziert. Dabei ist sie wenig präzise und produziert als Kollateralschaden oftmals verringerte Beschäftigung. Es ist ein bisschen so als würde man (in Zeitlupe) mit einem Hammer auf die gesamte Wirtschaft hauen. Es gibt Situationen, in denen dies gerechtfertigt sein kann. So erhöht eine davongaloppierende Inflation die Unsicherheit der Wirtschaftsteilnehmer und es ist nicht einfach, sie loszuwerden; aber um richtig abzuwägen, sollte man sich der Wirkungsweise und Nebenwirkungen bewusst sein. Eine Zinserhöhung ist eben keine eierlegende Wollmilchsau, die es schafft, unser Geld auf dem Konto zu vermehren, Lebensversicherungen und Banken zu retten und dabei irgendwie noch zu einer auf Hochtouren laufenden Wirtschaft beiträgt; sondern eher eine Notlösung, die vor allem dann in Frage kommt, wenn die Löhne bei Vollbeschäftigung schneller als die Wirtschaft wachsen – was langfristig nicht ohne Inflation möglich ist.“

Christine Lagarde ist seit 2019 die Präsidentin der Europäischen Zentralbank. „ECB Governing Council Press Conference in Athens – 26 October 2023“ von European Central Bank, CC BY-NC-ND 2.0, via flickr.com.

Geldpolitische Instrumente

Oben hast du gesehen, dass die Zentralbank über die Anpassung des Leitzinses versucht, das Verhalten der Geschäftsbanken, Unternehmen und Haushalte zu beeinflussen, um so den Geldwert vor Deflation und Inflation zu schützen. Konkret stehen ihr dazu eine Reihe von geldpolitischen Instrumenten zur Verfügung, über die der folgende Text Auskunft gibt.

„Die wichtigsten geldpolitischen Instrumente der EZB, die ihr erlauben, Einfluss auf die Zinsen im Geschäftsbankensektor zu nehmen, sind in [der folgenden] Tabelle […] zusammengefasst. Die […] Mindestreserve sowie die sogenannte Eigenkapitalquote der Banken sind Vorgaben, die nur sehr selten verändert werden und daher nicht zum Alltagsgeschäft der Zentralbanken gehören. Daher sind sie in der Tabelle nicht aufgeführt.

Überblick regelmässig genutzter geldpolitischer Instrumente

Offenmarktgeschäfte
(Initiative geht von der Zentralbank aus)
Ständige Fazilitäten
(Initiative geht von der [Geschäfts]bank aus)
Hauptrefinanzierungsgeschäfte Spitzenrefinanzierungsfazilität
Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte Einlagefazilität
Feinsteuerungsoperationen
Strukturelle Operationen

Geldpolitische Instrumente I: Offenmarktpolitik

Die sogenannten Offenmarktgeschäfte stellen die wichtigsten Instrumente aus Sicht der Zentralbank dar, die Banken mit Reserven zu versorgen. Bei den Offenmarktgeschäften geht die Initiative der Maßnahme von der Zentralbank aus, die so die Geschäftsbanken entweder mit Zentralbankgeld versorgt oder ihnen Zentralbankgeld entziehen möchte:

  • Hauptrefinanzierungsgeschäfte […]: wöchentliches Offenmarktgeschäft mit einwöchiger Laufzeit. Banken leihen sich Zentralbankgeld gegen Hinterlegung von Sicherheiten [Wertpapieren] zum Hauptrefinanzierungszinssatz, auch Leitzins, […] der EZB. Gilt als wichtigstes Instrument (daher auch Haupttender genannt).“
  • Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (LRG […]), auch längerfristige Offenmarktgeschäfte: Die so genannten Basistender werden einmal monatlich mit dreimonatiger Laufzeit durchgeführt. [LRG]s können aber auch unregelmäßig angewendet werden, wie zum Beispiel 2011/12, als mit der sogenannten „dicken Bertha“ im großen Volumen Liquidität zum Hauptrefinanzierungszinssatz mit einer Laufzeit von mehreren Jahren geschaffen wurde. Grund dafür war eine Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, wodurch sich die Banken untereinander kein Geld mehr geliehen haben. Die lange Laufzeit der [LRG]s soll den Fristenunterschied zwischen den Laufzeiten von Verbindlichkeiten und Forderungen der Banken verringern. In der Regel haben Banken langfristige Forderungen (Kredite an den Privatsektor), denen sehr kurzfristige Verbindlichkeiten (z. B. in Form von Sichteinlagen) gegenüberstehen. Reserven stellen aus Sicht der Banken kurzfristige Forderungen (Guthaben) dar, die jederzeit für den Zahlungsverkehr zur Verfügung stehen.
  • Feinsteuerungsoperationen: Unregelmäßige, nicht standardisierte Operationen, die dazu dienen, kurzfristige und unerwartete Schwankungen der Bankenliquidität zu vermeiden (z.B. kurzfristige Kreditvergabe, Ankauf von Termineinlagen oder zeitlich befristeter Ankauf von Devisen (Devisenswap))
  • Strukturelle Operationen: Unregelmäßige, nicht standardisierte Operationen, die den langfristigen Bedarf nach Zentralbankgeld sichern sollen, um die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen zu sichern. Dies kann zum Beispiel durch Verkauf von Schuldverschreibungen gegen Zentralbankgeld erreicht werden, da so die Menge an Zentralbankgeld im Bankensektor dauerhaft gesenkt wird und die Geschäftsbanken wieder mehr Bedarf haben, sich bei der Zentralbank Reserven zu leihen

[…] Die wichtigsten Offenmarktgeschäfte sind eindeutig die Hauptrefinanzierungs- sowie die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte.

Offenmarktgeschäfte werden i.d.R. als Versteigerungsverfahren durchgeführt und nur selten als bilaterales Geschäft. Haupt- und Basistender sind standardisiert und werden daher auch Standardtender genannt (Abwicklung innerhalb weniger Tage). Feinsteuerungsoperationen werden dagegen Schnelltender genannt, da die Geschäftsabwicklung innerhalb von 90 Minuten erfolgt. […]

Geldpolitische Instrumente II: Ständige Fazilitäten

Eine Fazilität (lateinisch facilitas = ‚Leichtigkeit‘) ist im engeren Sinne eine Kreditmöglichkeit. Die EZB räumt den Geschäftsbanken die Möglichkeit ein, sich bis zum nächsten Geschäftstag entweder Reserven zu leihen (Spitzenrefinanzierungsfazilität […]) oder zu verleihen (Einlagefazilität […]). Der Spitzenrefinanzierungszinssatz ist höher und der Einlagenzinssatz niedriger als der Hauptrefinanzierungszinssatz. [D]iese Zinsen [bilden] einen Korridor für den Interbankenzins. Fazilitäten gehören zu den Instrumenten, bei denen die Initiative vom privaten Bankensektor ausgeht. Banken können bis zu einer halben Stunde nach Schließung des Interbankenmarktes Reserven von der Zentralbank gegen Hinterlegung von Sicherheiten bekommen oder überschüssige Reserven bei der Zentralbank parken. Überschüsse auf dem Reservenkonto werden dann zum Einlagesatz verzinst.[…][Die Abbildung unten] zeigt die Entwicklung der drei Zinssätze [Hauptrefinanzierungszinssatz, Spitzenrefinanzierungsfazilität, Einlagenfazilität] sowie den Tagesgeldzinssatz im Interbankenmarkt. Letzterer wird durch den sogenannten Euro Overnight Index Average (EONIA) dargestellt. Dieser Zinssatz ist ein berechneter Durchschnittssatz, der auf Basis tatsächlicher Kredite im Übernachtgeschäft von 30 Banken ermittelt wird [(EONIA wurde inzwischen durch die Euro Short-Term Rate (€STR) ersetzt)]. Wie wir sehen, liegt der Hauptrefinanzierungssatz der EZB zwischen Spitzenrefinanzierungs- und Einlagezinssatz. Der Tagesgeldzins (auf dem Interbankenmarkt) liegt ebenfalls zwischen diesen beiden Sätzen und schwankt um den Hauptrefinanzierungszinssatz. Da die EZB in ihren wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften den Banken Geld zum Hauptrefinanzierungszinssatz leiht, ist es nicht verwunderlich, dass der Interbankenzins sich in der Nähe dieses Zinssatzes bewegt.

Zinssätze am Interbankenmarkt

Zinssätze am Interbankenmarkt von Julian Becker, CC BY 4.0. Quelle der Daten:Einlagefazilität: Bundesbank; Spitzenrefinanzierungsfazilität: Bundesbank; Zinssatz der EZB für Hauptrefinanzierungsgeschäfte: Bundesbank; EONIA: EZB; €STR: European Central Bank, Euro Short-Term Rate: Volume-Weighted Trimmed Mean Rate [ECBESTRVOLWGTTRMDMNRT], retrieved from FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis; https://fred.stlouisfed.org/series/ECBESTRVOLWGTTRMDMNRT, March 18, 2024.

[…] Wir sehen, dass die EZB nach Ausbruch der Finanzkrise in 2008 begonnen hat, alle drei Zinssätze zu senken, um Kredite günstiger zu machen und so die Investitionen anzuregen. Aber wieso fällt der Interbankenzins zu dieser Zeit auf die untere Grenze des Einlagenzinssatzes? Banken bekamen Angst, dass ihre Geschäftspartner aufgrund der Finanzkrise die Übernachtkredite nicht mehr zurückzahlen würden und haben ihre Überschussreserven lieber auf dem Konto der Zentralbank zum Einlagezins geparkt. Damit Banken nicht in Liquiditätsprobleme kommen, hat die EZB dann in sehr großen Mengen Reserven in den Interbankenmarkt gebracht, um eine Liquiditätskrise zu verhindern und die Stabilität des Bankensystems zu sichern. Seit der Finanzkrise werden Mengentender mit voller Zuteilung verwendet. Das bedeutet, dass Banken sich wöchentlich unbegrenzt Reserven zum Hauptrefinanzierungszinssatz leihen können. Dies haben Banken seit der Finanzkrise vielfach genutzt. Um den Interbankenmarkt zu umgehen, leiht man sich die Reserven von der Zentralbank, die man dann als Vorrat auf den Reservekonten hält. Die Zentralbank hat so zeitweise den Interbankenmarkt ersetzt und der Reserveüberschuss hat den Tagesgeldzinssatz an die Untergrenze gedrückt. Dies ist besonders deutlich, nachdem in 2011/12 die Zentralbank mit längerfristigen Refinanzierungsgeschäften im großen Volumen die Liquidität im Bankensektor erhöht hat. Da Reserven nun im Überfluss vorhanden sind, sinkt der Preis für Reserven auf den Einlagezins.

Seit dem 11. Juni 2014 [war] die Einlagefazilität negativ und der Hauptrefinanzierungssatz [betrug] seit dem 16. März 2016 Null Prozent. Banken [konnten] sich also unbegrenzt mit Liquidität versorgen, ohne dafür einen Zins zahlen zu müssen, sie zahl[t]en aber eine Art Strafe, wenn sie überschüssige Reserven horten. Mit dieser Maßnahme versucht[e] die EZB zuallererst, den Zinssatz langfristiger Wertpapiere zu drücken, um langfristige Investitionen attraktiver zu machen. Die Argumentation, Banken würden hierdurch mehr Kredite vergeben, weil sie andernfalls einen Strafzins auf Reserven zahlen müssen, ist hingegen fragwürdig. Zur Kreditvergabe braucht es ja auch einen willigen und kreditwürdigen Kreditnehmer. Die höheren Kosten der Banken könnten auch zu steigenden Zinsen führen, die sogar einen negativen Effekt auf die Kreditnachfrage hätten.“1

1Gekürzter und leicht überarbeiteter Ausschnitt aus: Dr. Michael Paetz: „Grundlagen moderner Geldpolitik II“, in: ders.: Was-ist-Geld.de. Ein Projekt der HOOU@UHH, CC BY-NC 4.0.

Der Text im Lernabschnitt „Zielerreichung über Umwege: Die Ziele, Kanäle und Instrumente der Geldpolitik“ by Till van Treeck, Julian Becker is licensed under CC BY-NC 4.0. Der Text enthält einen Auszug aus: „Der Zinshammer – Wie Zentralbanken Inflation bekämpfen“ von Philippa Sigl-Glöckner für Dezernat Zukunft, ebenfalls lizenziert unter CC BY-NC 4.0. Der Text enthält auch einen gekürzten und leicht überarbeiteten Ausschnitt aus: „Grundlagen moderner Geldpolitik II“, in: Was-ist-Geld.de. Ein Projekt der HOOU@UHH, CC BY-NC 4.0. von Dr. Michael Paetz, lizenziert unter under CC BY-NC 4.0.

Die Abbildung „Adressaten der Geldpolitik“ von Dezernat Zukunft it lizenziert unter CC BY-NC 4.0.

H5P-Element: „Wirkungszusammenhänge bei Leitzinsänderungen“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Image Hotspot“ steht unter einer MIT-Lizenz.

Die Abbildung „Zinssätze am Interbankenmarkt“ von Julian Becker ist lizenziert unter CC BY 4.0. Quelle der Daten:Einlagefazilität: Bundesbank; Spitzenrefinanzierungsfazilität: Bundesbank; Zinssatz der EZB für Hauptrefinanzierungsgeschäfte: Bundesbank; EONIA: EZB; €STR: European Central Bank, Euro Short-Term Rate: Volume-Weighted Trimmed Mean Rate [ECBESTRVOLWGTTRMDMNRT], retrieved from FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis; https://fred.stlouisfed.org/series/ECBESTRVOLWGTTRMDMNRT, March 18, 2024.