Im Jahr 1998 wurde die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet. Das ist die Institution, die in Europa für den Euro ist verantwortlich ist. Doch was macht eine Zentralbank eigentlich genau? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst ein bisschen mit unserem modernen Geldsystem beschäftigen.Welche Rollen fallen darin Zentralbanken und Geschäftsbanken zu?

„Eine Einführung in die Funktionsweise von Geld beginnt i. d. R. mit der Tauschmittelfunktion. In einer reinen Tauschwirtschaft würden Waren gegen Waren getauscht werden. […]

Geld braucht es erst dann, wenn ein Tausch nicht abgeschlossen werden kann, weil die Beteiligten sich nicht auf einen Tausch von Waren einigen können. Dies wird offensichtlich eher die Regel als die Ausnahme sein. Für einen reinen Tausch bräuchte man nämlich eine Koinzidenz der Bedürfnisse […]: Wenn […] zwei Personen miteinander tauschen, müsste die eine ein Gut verlangen, welches die andere im Überfluss besitzt, während diese wiederum etwas begehrt, was der ersten Person im Überfluss zur Verfügung steht. Diese Koinzidenz müsste zudem räumlich wie auch zeitlich gelten. Stellt eine Person Waren her, die nur im Sommer gefertigt werden, und eine andere Waren, die nur im Winter gefertigt werden, dann kann allein die zeitliche Differenz dazu führen, dass beide Personen keinen Tausch von Waren vollziehen können. Händler haben sich daher schon immer gegenseitig einen Zahlungsaufschub gewährt. Wird dieser Zahlungsaufschub in Form eines Schuldscheins notiert, kann unter gewissen Umständen […] dieser Schuldschein zu einem allgemein akzeptierten Zahlungsmittel werden. Geld ist also ein Schuldverhältnis. Früher wurden solche Schuldscheine zum Markt gebracht, um sie dort gegenseitig aufzurechnen.[…]

Es ist unbestreitbar, dass eine zeitliche und räumliche Koinzidenz i. d. R. nicht der Fall ist und eine Marktwirtschaft ohne Geld nicht funktionieren würde. Daher liegt die Vermutung nahe, dass es eine reine Tauschwirtschaft nie gegeben hat. Nehmen wir an, es gäbe noch kein Geld, aber ich möchte trotzdem bei […] [einem] Bäcker einkaufen. Wenn der Bäcker mich kennt und mir vertraut, würde er mir vermutlich […] einen Zahlungsaufschub gewähren. Ich würde die Brötchen anschreiben können. Der Bäcker notiert also in Geldeinheiten, dass ich ihm etwas schuldig bin, das ich zu einem späteren Zeitpunkt liefere. Der Bäcker gibt mir in diesem Moment also einen Kredit. Auf diese Art und Weise haben Händler schon lange vor Einführung des heutigen Papier- und Buchgeldes Waren getauscht.

Zum Beispiel fungierten sogenannte Kerbhölzer bereits im 11. Jahrhundert als frühe Form der buchhalterischen Erfassung von Schuldverhältnissen. Kerbhölzer waren längliche Brettchen, auf denen man Symbole oder Kerben quer über das Stück einritzte. Das Stück wurde dann der Länge nach zerteilt und jede Partei erhielt eine Hälfte, damit niemand den eingeritzten Wert fälschen konnte. […] Die englische Regierung nutzte im 18. Jahrhundert sogenannte ,tally sticks‘, um sich Gold und Silber von ihren Bürgern zu leihen. Da man mit diesen Kerbhölzern seine Steuern bezahlen konnte, wurden die tallies fortan als allgemeines Zahlungsmittel akzeptiert und repräsentierten eine Form von Geld.

Es lässt sich also vermuten, dass Märkte und Frühformen von (Buch-)Geld gleichzeitig entstanden, da ein Markt ohne Geld nicht vorstellbar ist. Eine reine Tauschwirtschaft hat es also vermutlich nie gegeben. Es liegt zudem die Vermutung nahe, dass es schon einfache Verrechnungssyteme gab, bevor Edelmetalle, wie Gold und Silber, als Zahlungsmittel dienten. […]

Hörtipp

In der englischsprachigen Podcast-Reihe „Promises, Promises: A History of Debt“ setzt sich der Anthropologe David Graeber mit der Geschichte der Schulden auseinander. Im ersten Beitrag geht es um die geschichtlichen Ursprünge des Geldes, die eng mit Schulden zusammenhängen.

Formen und Eigenschaften von Geld

Allein dieses historische Beispiel zeigt bereits anschaulich, dass Geld viele Formen annehmen kann. Eine eindeutige Definition von Geld wird heute noch schwieriger, da es eine Fülle von Vermögenswerten gibt, die in Geldeinheiten notiert sind und sich kurzfristig durch einen Verkauf ‚zu Geld machen lassen‘. […] Je nachdem, welches ökonomische Problem man analysieren möchte, kann es angemessen sein, solche Forderungen oder auch Wertpapiere als Geld oder Quasi-Geld zu bezeichnen.

Auch die deutsche Zentralbank, die sich Bundesbank nennt, verwendet 3 unterschiedliche Gelddefinitionen (M1–M3), die sich in ihrer ‚Liquiditätsnähe‘ unterscheiden, also darin, wie schnell man über sie verfügen kann. Dazu kommt noch die Geldbasis M0, das sogenannte Zentralbankgeld (auch als Reserven bezeichnet). Hierunter versteht man das Geld, welches nur von der Zentralbank herausgegeben werden kann und primär zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs im System der Geschäftsbanken (sogenannter Interbankenmarkt) verwendet wird. […] [Die] Tabelle [unten] fasst die verschiedenen Geldmengenaggregate nach Definition der Bundesbank zusammen. Jede Zentralbank definiert ihre Geldmengenaggregate etwas anders, aber in den meisten Fällen sehr ähnlich. Es gilt grundsätzlich das Prinzip: Je höher die Nummer des Aggregats, desto breiter gefasst ist die Geldmenge, also desto längerfristigere Geldanlagen werden berücksichtigt.

Die Geldmenge im Eurogebiet

Enthalten Geldmengenaggregat Monatsendstände in Mrd. Euro (Januar 2022)
Bargeldumlauf und Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank M 0 (Zentralbankgeld, Geldbasis)
Bargeldumlauf

Sichteinlagen bei Banken

= M 1 1.482 Mrd. Euro

9.816 Mrd. Euro

+ Termineinlagen

Spareinlagen

952 Mrd. Euro

2.513 Mrd. Euro

= M 2
+ Bankschuldverschreibungen, Geldmarktfondsanteile, Repogeschäfte = M 3 15.534 Mrd. Euro

Die Geldmenge im Eurogebiet. Quelle der Daten: Deutsche Bundesbank (Hg.): Geld und Geldpolitik, Frankfurt a. M. 2022.

Der zweistufige Geldkreislauf

Moderne Geldsysteme sind zweistufig aufgebaut. Sie bestehen aus einem Reserven- und einem Giralgeldkreislauf.

[[Der Giralgeldkreislauf] existiert […] zwischen (nicht-finanziellen) Unternehmen, Haushalten und Banken, in dem das von Banken geschaffene Giralgeld (auch als Buchgeld bezeichnet) als Zahlungsmittel fungiert]. Aus Sicht des Kunden einer Bank ist Giralgeld das, was man als Geld bezeichnet. Niemand würde in Frage stellen, dass das Guthaben auf einem Bankkonto Geld darstellt, weil wir es im täglichen Zahlungsverkehr verwenden und jederzeit Eins-zu-Eins in Bargeld tauschen können. Für den Banker hingegen stellen die Einlagen Verbindlichkeiten dar. Kunden können jederzeit eine Auszahlung verlangen und leihen der Bank ihr Geld, solange es auf dem Girokonto verbleibt.

Für den Zahlungsausgleich mit anderen Banken benötigt eine Bank hingegen Reserven, also Zentralbankgeld. Aus ihrer Sicht sind Reserven das ‚wahre‘ Geld, mit dem sie ihren Zahlungsverkehr abwickeln.

[Die Zentralbank ist so etwas wie die Bank der Geschäftsbanken und besitzt gesetzlich das Monopol auf die Emission einer Währung. Da Bargeld in Form von Münzen und Scheinen heute nur noch einen sehr geringen Teil der gesamten Geldmenge ausmacht [siehe Tabelle oben], ist das Monopol auf die Schaffung der Reserven das wesentliche Merkmal einer Zentralbank. Reserven sind das offizielle Zahlungsmittel im Geldkreislauf zwischen Zentralbank und Geschäftsbankensektor. Der Privatsektor kann niemals mit Reserven bezahlen, da diese nur im Buchungssystem zwischen Zentralbank und den Geschäftsbanken getauscht werden. Reserven können von Banken aber jederzeit bei der Zentralbank gegen Bargeld getauscht werden. Bargeld stellt demnach die einzige Form von Zentralbankgeld dar, die auch im Privatsektor verwendet werden kann. […]

Banken haben in diesem System offensichtlich eine Sonderfunktion, da sie die Schnittstelle zwischen beiden Geldkreisläufen darstellen und als einziger Akteur sowohl Reserven als auch Buchgeld in ihren Bilanzen führen […] .]

Die Hierarchie des Geldes

In der Definition der größer gefassten Geldmengenaggregate [M3, siehe oben] […] werden auch längerfristige Termineinlagen, kurzfristige Bankschuldverschreibungen, Geldmarktfonds und Repo-Geschäfte als Geld gezählt. Dies sind z. T. auch Kreditverträge zwischen privaten Unternehmen. Zählt man weitere private Nicht-Banken-Finanzierung hinzu, wie Investmentfonds oder die Möglichkeit über Unternehmensanleihen Geld aufzunehmen etc., lässt sich eine Pyramide des Geldes konstruieren […].

Für jede Geldform gilt, dass sie ein Versprechen darstellt, die Geldform der jeweils nächsthöheren Ebene zu bezahlen. Kredite sind Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Einlagen zu zahlen. Einlagen sind Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Bargeld, also Zentralbankgeld, zu zahlen. Und Zentralbankgeld war früher das Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Gold zu zahlen. Gold war die einzige international anerkannte Währung, in der man Handel abrechnen konnte und stand in der Hierarchie des Geldes noch über dem Zentralbankgeld an der Spitze der Geldpyramide.[…]

H5P-Element „Die Geldpyramide“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Eine weitere Eigenschaft der Geldhierarchie ist, dass die unteren Ebenen die jeweils höhere Art des Geldes vervielfachen. Ein Handelskredit, also ein Zahlungsaufschub von zum Beispiel 90 Tagen, ist ein Versprechen, in 90 Tagen Einlagen zu zahlen. Er benötigt aber zum Zeitpunkt der Kreditvergabe keine Einlagen. Der Kreditnehmer wird vielleicht einen Teil der Einlagen schon jetzt besitzen und erwartet bis zum Zahlungszeitpunkt ausreichende zusätzliche Einnahmen. Oder er geht davon aus, den Kredit ‚überrollen‘ zu können, also durch einen neuen Kredit zu ersetzen. So oder so ist die Kreditmenge gestiegen, ohne dass Einlagen benötigt wurden. […]

Die Geldpyramide ist zudem dynamisch zu verstehen. Die Kreditvergabe weitet sich i.d.R. in Boomphasen aus und schrumpft in Krisen (‚Bust‘) wieder. Die Zentralbank versucht mit ihrer Zinspolitik auf diesen dynamischen Prozess Einfluss zu nehmen. Eine Zinserhöhung in Boom-Phasen macht die Neuaufnahme von Krediten unattraktiver und soll so vor einer Kreditblase und steigenden Preisen schützen, während die Zinssenkung in Krisenzeiten nicht nur die Investitionen anregen soll, sondern auch die Refinanzierung von laufenden Krediten einfacher macht. Wenn ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen zum vereinbarten Zeitpunkt nicht nachkommen kann, weil es in der Rezession weniger Einnahmen macht als erwartet, kann es seine kurzfristigen Liquiditätsprobleme durch einen günstigen Bankkredit in die Zukunft schieben, in der Hoffnung, dass sich die Lage bis dahin wieder bessert. Durch eine Zinssteuerung versucht die Zentralbank demnach, sowohl die Flexibilität dieses Systems zu gewährleisten (Banken können Kredite nach Bedarf schöpfen), als auch disziplinierend auf Banken zu wirken (indem sie ggf. die Zinsen für Kredite der Banken bei der Zentralbank erhöhen). […]

Funktionen von Geld

Doch was macht Geld nun tatsächlich zu Geld? Die meisten Nichtökonomen müssen sich über solche Fragen keine Gedanken machen. Für sie ist Geld die Summe aus Münzen, Scheinen und dem, was sich auf ihren Bankkonten befindet. Da Sichteinlagen für den überwiegenden Teil des allgemeinen Zahlungsverkehrs verwendet werden können, gehören sie klar zur Gelddefinition dazu. Letztlich stellen Einlagen aus Sicht eines Bankkundens zirkulationsfähige Forderungen gegenüber der Bank dar, die auch von allen anderen Wirtschaftssubjekten zur Bezahlung akzeptiert werden. Es handelt sich um einen digitalen Schuldschein des Bankensystems, der in der Privatwirtschaft zum Erwerb von Gütern und Dienstleistungen verwendet werden kann. Der Grund der Akzeptanz eines Geldes wird in den meisten Lehrbüchern der Geldtheorie auf folgende Eigenschaften bzw. Funktionen zurückgeführt:

H5P-Element „Geldfunktionen“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

[…] Wie sich leicht erkennen lässt, beeinflussen sich die einzelnen Funktionen des Geldes gegenseitig. Es wäre als Tausch- und Zahlungsmittel sicher nicht akzeptiert, wenn es keine Wertbeständigkeit hätte. Würde man nicht einschätzen können, welche Kaufkraft ein Euro in der Zukunft besitzt, würde man ihn wohl kaum im Tausch gegen Güter akzeptieren. Als Recheneinheit würde Geld nicht funktionieren, wenn es keine Tauschmittelfunktion hätte. Lassen sich Waren und Dienstleistungen nicht mit Hilfe von Geld erwerben, ist es offensichtlich auch unmöglich, diese in Geldeinheiten zu bewerten und zu vergleichen.

Die Funktion der Wertaufbewahrung wird von der Inflationsrate, also der Preissteigerungsrate, beeinflusst, da höhere Preise dazu führen, dass man mit der gleichen Geldmenge weniger Güter erwerben kann. Daher ist eine niedrige Inflationsrate ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik, um die Akzeptanz von Geld als Wertaufbewahrungsmittel sicher zu stellen.[…]

Eine staatliche Theorie des Geldes

Viele Ökonomen legen besonderen Wert auf die institutionelle Fundierung von Geld. Demzufolge hat Geld die oben aufgeführten Eigenschaften primär deswegen, weil die Regierung alle Bürger zwingt, die eigens eingeführte Währung als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Dies kann der Staat tun, indem er alle Zahlungen wie Einkommens- und Mehrwertsteuer, Gebühren und Strafen, usw. nur in der von ihm festgelegten Währung akzeptiert. Georg Friedrich Knapp begründete mit der Veröffentlichung der „Staatlichen Theorie des Geldes“ in 1905 den sogenannten Chartalismus (Charter = Urkunde, also verbrieftes Geld […]).

Geld wird [in dieser Sichtweise] also erst dadurch zu Geld, dass die Regierung einen Stempel drauf setzt. Weil jeder seine Steuern zahlen muss und die Regierung nur ihr eigenes Geld akzeptiert, hat jeder Bürger eines Landes ein Interesse daran, dieses Geld zu verwenden.“

Gekürzter und leicht überarbeiteter Ausschnitt (Position einzelner Abschnitte innerhalb des Textes wurde verändert, Überschriften angepasst) aus: Dr. Michael Paetz: „Einführung“, in: ders.: Was-ist-Geld.de. Ein Projekt der HOOU@UHH, CC BY-NC 4.0.

Video „Wie entsteht Geld? – Buchgeld“ von Deutsche Bundesbank, CC BY 3.0. Es wird hier von youtube.com eingebettet.

Video „Wie entsteht Geld? – Zentralbankgeld“ von Deutsche Bundesbank, CC BY 3.0. Es wird hier von youtube.com eingebettet.

Der Text im Lernabschnitt „Wie funktioniert eigentlich ein modernes Geldsystem?“ ist ein gekürzter und leicht überarbeiteter Ausschnitt (Position einzelner Abschnitte innerhalb des Textes wurde verändert, Überschriften angepasst) des Textes „Einführung“, in: Dr. Michael Paetz: Was-ist-Geld.de. Ein Projekt der HOOU@UHH von Dr. Michael Paetz, lizenziert unter CC BY-NC 4.0.

H5P-Element „Die Geldpyramide“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Agamotto“ steht unter einer MIT-Lizenz.

H5P-Element: „Geldfunktionen“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ und bei den jeweiligen Abbildungen im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Image Hotspot“ steht unter einer MIT-Lizenz.

Das Video „Wie entsteht Geld? – Buchgeld“ von Deutsche Bundesbank ist lizenziert unter CC BY 3.0. Es wird hier von youtube.com eingebettet.

Das Video „Wie entsteht Geld? – Zentralbankgeld“ von Deutsche Bundesbank ist lizenziert unter CC BY 3.0. Es wird hier von youtube.com eingebettet.