Das Bruttoinlandsprodukt kann im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) von drei Seiten beschrieben werden: der Produktionsseite, der Nachfrageseite und der Verteilungsseite. Vereinfacht gesagt konzentriert sich keynesianische Ökonominnen stärker auf die Nachfrageseite (und auf die Verteilungsseite) und liefern dafür die Grundlage für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik.

#(Post)keynesianismus

„Keynesianisch orientierte Ökonominnen und Ökonomen betonen die Möglichkeit einer allgemeinen Nachfrageschwäche. Bildlich gesprochen bedeutet dies, dass ein Bäcker zwar technisch in der Lage wäre, einen größeren oder besseren Kuchen zu backen, aber hierfür keine Käuferinnen findet. Dies kann daran liegen, dass die Personen, die als Käuferin des Kuchens prinzipiell in Frage kämen, verunsichert sind und Geld für schlechte Zeiten zurücklegen wollen oder zu wenig Kaufkraft haben. Mit ihrer Kaufzurückhaltung zerstören sie – so die keynesianische Diagnose – letztlich den Arbeitsplatz und damit das Einkommen des Bäckers bzw. seiner Angestellten. Bezogen auf die ganze Volkswirtschaft, bedeutet dies, dass der Kuchen (das BIP) wegen der zu schwachen Nachfrage kleiner ausfällt, als er sein könnte, obwohl die Angebotsbedingungen (Produktivität und arbeitswillige Personen) die Herstellung eines größeren bzw. besseren Kuchens prinzipiell ermöglichen würden.“1

Die nachfrageseitige Betrachtung des BIP sieht folgendermaßen aus:

BIPN = C + I + G + (X − M)
BIPN = Bruttoinlandsprodukt (Nachfrageseite)
C = Konsum (private Haushalte)
I = Investitionen (Unternehmen u. Haushalte)
G = Staatsausgaben
X = Exporte
M = Importe

Wenn das BIP wegen geringer Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen fällt bzw. nicht stark genug steigt, werden die Unternehmen weniger Arbeitsstunden nachfragen (warum sollten sie Arbeitskräfte beschäftigen, die Produkte herstellen, die niemand kaufen möchte?), und es kommt zu Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung. Keynesianische Ökonomeninnen gehen davon aus, dass es in einer Marktwirtschaft immer wieder zur Verunsicherung der privaten Wirtschaftssubjekte (private Unternehmen und Privathaushalte) kommen kann – mit dem Ergebnis, dass sie ihre Ausgaben zurückhalten und ihr Geld sparen wollen. Eine solche Verunsicherung kann etwa darin begründet sein, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, politische Konflikte oder der Zusammenbruch eines Währungssystems befürchtet werden.

Das Problem ist laut keynesianischer Analyse, dass durch diese Form des „Angstsparens“ überhaupt erst die wirtschaftliche Schwächephase verursacht bzw. verschärft wird, vor denen sich die privaten Wirtschaftssubjekte fürchten. Denn, wenn viele private Haushalte und Unternehmen weniger konsumieren bzw. investieren, d. h. Geldersparnis bilden wollen, fallen hierdurch automatisch die Einnahmen anderer privater Haushalte und Unternehmen, was diese wiederum dazu veranlassen kann, ihrerseits ihre Ausgaben für Konsum und Investitionen zu reduzieren. Hierdurch kann eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden mit dem Ergebnis eines fallenden BIP und steigender Arbeitslosigkeit. Anders formuliert: Der Wunsch, durch mehr Ersparnis für schlechte Zeiten vorzusorgen, führt selbst erst die schlechten Zeiten herbei. Dieser Mechanismus ist als keynesianisches Sparparadox in die Geschichte des ökonomischen Denkens eingegangen.

Die durch Nachfrageschwäche entstehende Arbeitslosigkeit wird häufig als konjunkturelle Arbeitslosigkeit bezeichnet. Wenn sie lange anhält, kann sie sich jedoch strukturell verfestigen, wenn z. B. Langzeitarbeitslose nach und nach ihre Qualifikationen verlieren und dauerhaft nicht mehr den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt finden.

Der Text „Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge aus der Sicht des Keynesianismus“ von Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY-SA 4.0. Er enthält einen Auszug aus dem Text „Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“ von Till van Treeck für bpb.de, der ebenfalls lizenziert ist unter CC BY-SA 4.0.