Einen guten Einstieg in eine Beschäftigung mit den wirtschaftspolitischen Konzeptionen von Neoklassik und Keynesianismus und ihren Antworten auf das Problem der Arbeitslosigkeit bietet das bereits aus Kapitel 1 bekannte Konzept des Bruttoinlandsprodukts.

#Neoklassik

Die Perspektive der Neoklassik ist am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie war über weite Strecken der Geschichte wohl die einflussreichste Perspektive in der Volkswirtschaftslehre. Viele Wissenschaftlerinnen orientieren sich auch heutzutage hauptsächlich an ihr. Sie liefert die Grundlage für eine Wirtschaftspolitik, die tendenziell eher als angebotsorientiert bezeichnet werden kann.

„Nach neoklassischer Sichtweise steht die Entstehung, das heißt die Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund, weswegen von der Neoklassik bisweilen auch als angebotsorientierter Theorie gesprochen wird“1: Weil es letztendlich die Produktion ist, die Einkommen und damit wiederum Nachfrage schaffe, müsse die Schaffung günstiger Produktionsbedingungen, d. h. guter Bedingungen für die „Anbieterinnen“ von Gütern und Dienstleistungen, politisch Vorrang haben.

Zur Erinnerung: Die einfachste angebotsseitige Berechnung des BIP sieht folgendermaßen aus:

\(\text{BIP}^\text{A} = \frac{\text{BIP}}{\text{h}}×\text{h}\)

BIPA = Bruttoinlandsprodukt (Angebotsseite)

\(\frac{\text{BIP}}{\text{h}}\) = Arbeitsproduktivität

h = gearbeitete Stunden

Eine angebotsorientierte wirtschaftspolitische „Empfehlung wäre, durch unternehmensfreundliche Maßnahmen (geringe Steuern und Lohn(neben)kosten, wenig Bürokratie und andere Regulierungen) vorteilhafte Bedingungen für produktivitätssteigernde technische Innovationen zu schaffen. Im Fall des Bäckers könnte das bedeuten, dass er nicht mit bürokratischen Vorschriften überlastet wird und seine persönlichen Leistungsanreize nicht durch zu hohe Steuern zunichte gemacht werden. Außerdem sollte der Staat aus dieser Sicht angebotsseitige Bedingungen schaffen, die dem Bäcker eine stetige Verbesserung seiner Kuchenproduktion ermöglichen (z. B. durch gute Schulbildung seiner Lehrlinge und eine gut aufgestellte Maschinenbau- und Chemie-Industrie, die immer bessere Backmaschinen und Backverfahren entwickelt und so die Arbeitsproduktivität des Bäckers erhöht).“1

Wenn in einer Volkswirtschaft Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung herrscht und deswegen die Anzahl der gearbeiteten Stunden niedriger ist als von den Erwerbspersonen gewünscht, liegt dies aus neoklassischer Sicht häufig an zu hohen Löhnen oder an einer zu starken Regulierung des Arbeitsmarkts: Zu hohe Löhne können beispielsweise bedeuten, so die Argumentation, dass sich die Beschäftigung weiterer Arbeitsnehmerinnen für die Arbeitgeberin nicht lohnt: Die Kosten für eine zusätzlich eingestellte Arbeitskraft werden nicht durch die zusätzlichen Einnahmen gedeckt, die durch die Ausweitung der Produktion entstehen. Zu starke Regulierungen des Arbeitsmarktes können außerdem dazu führen, dass Neueinstellungen vermieden werden: Zum Beispiel im Falle eines gesetzlichen Kündigungsschutzes, weil nicht klar ist, wie sich die Auftragslage des Unternehmens entwickelt und ob Arbeitskräfte auch in Zukunft noch benötigt werden. Dementsprechend werden Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt gefordert (z. B. keine zu hohen Mindestlöhne, Lockerung des Kündigungsschutzes, Senkung der Arbeitslosenunterstützung zur Stärkung der Arbeitsanreize). Die Neoklassik betont somit vor allem das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit durch zu starke staatliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt.

1 Die gekennzeichneten Textstellen sind Ausschnitte aus: Till van Treeck für bpb.de: Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, CC BY-SA 4.0. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

H5P-Element „Maßnahmen angebotsorientierter Wirtschaftspolitik und ihre erhoffte Wirkung“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element.

Der Text im Lernabschnitt „Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge aus der Sicht der Neoklassik“ von Julian Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter CC BY-SA 4.0 Enthält Ausschnitte aus dem Text von Till van Treeck für bpb.de „Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“, der ebenfalls unter CC BY-SA 4.0 veröffentlicht ist.

H5P-Element: „Maßnahmen angebotsorientierter Wirtschaftspolitik und ihre erhoffte Wirkung“. Quellen- und Lizenzangaben unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Accordion“ steht unter einer MIT-Lizenz.